Berufswahlreife reduziert Lehrabbrüche

Der Berufswahl geht ein Reifungsprozess voraus. Schülerinnen und Schüler entwickeln über die Zeit die Berufswahlreife, die für ihre Berufswahl eine notwendige Voraussetzung ist. Lehrpersonen und Berufsbildungsverantwortliche in den Betrieben können zu einem fruchtbaren Reifungsprozess beitragen.

Mein Sohn äussert mit seinen fünf Jahren immer mal wieder Berufswünsche. Seine Bandbreite an Berufen ist gross.
Einmal ist es Astronaut, ein andermal Verkäufer an der Migroskasse. Seine einzige Konstante ist, „Jäger“ zu werden.Aber meisten sind es drei, vier Berufe, die er erlernen möchte. Ich frage mich, wann seine Berufswünsche wohl mehr sind als Rollenspiele? Wann ist eine junge Person bereit, einen realen Berufswünsch zu haben? Wann erreichen Schülerinnen und Schüler die sogenannte Berufswahlreife?

Voraussetzung Berufswahlreife

Junge Menschen müssen einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht haben, um überhaupt einen gefestigten Berufswunsch zu entwickeln. Die sogenannte Berufswahlreife ist eine notwendige Bedingung für einen Berufswunsch, der mitunter den Lehrstellensuchprozess steuert. Das heisst, Schülerinnen und Schüler müssen ein bestimmtes Mass an psychischer Stabilität, Belastbarkeit und Selbstwirksamkeit erreicht haben, um eine begründete und informierte Entscheidung für einen Ausbildungsberuf zu fällen, der den eigenen Fähigkeiten, Interessen und Möglichkeiten entspricht (Ratschinski, 2008). Die Schule übernimmt in diesem Entwicklungsprozess eine zentrale Rolle, die über die Sequenzen zur beruflichen Orientierung hinausgeht.

Über Exploration zur Berufswahlreife

Aber auch die Schnupperlehren sind ein wichtiger Bestandteil, zur Berufswahlreife zu gelangen. Schülerinnen und Schüler sollten im Sinne der explorativen Phase verschiedene Berufe kennenlernen. Wichtig in der explorativen Phase ist die Lust und Freude am Entdecken, am Fragen und Nachfragen, am Beobachten und Beschreiben. Das sind Kompetenzen, die Berufsbildungsverantwortliche immer wieder bei den Jugendlichen fordern. Der Berufswahlprozess bietet den Lehrpersonen auch die Gelegenheit, die Entdeckungsfreude der Schülerinnen und Schüler zu wecken und zu fördern. Denn Schüler/innen müssen lernen, Entdecker/innen zu werden und das Erfahrene mit den eigenen Präferenzen in Verbindung zu bringen. Präferenzen können sich während des Reifeprozesses verändern, da im Rahmen der Lehrstellensuche Neues entdeckt und Altes verworfen wird. Dieses Erforschen verschiedener Berufe muss in der Schule erlernt und oft auch intensiv begleitet werden. Diese Aufgabe darf in den Schulen nicht einfach an die Klassenlehrperson delegiert werden; es ist eine Verbundaufgabe, an welcher alle Lehrpersonen, Eltern und Schüler/innen beteiligt sind.

Zeit geben, wo es Zeit braucht

Es ist aber auch wichtig, dass die Schnupperlehren nicht bereits Selektionscharakter aufweisen. Die Unternehmen sollten den Jugendlichen die Freiheit und die Zeit lassen, während einer Schnupperlehre den Beruf beobachtend oder anpackend kennenzulernen, um ihrem Typ entsprechend ihre Berufswahlreife zu erlangen. Betriebe sollten auch davon absehen, Jugendlichen nach einer Schnupperlehre im achten Schuljahr bereits den Lehrstellenplatz zuzusichern, denn in den letzten zwei Schuljahren reifen die Jugendlichen insbesondere in Bezug auf ihren Berufswunsch. Die beste Strategie für alle wäre, die Lehrstellen frühestens ein halbes Jahr vor Ausbildungsbeginn zu vergeben. Damit könnte auch die Rate der Lehrabbrecher/innen und Berufswechsler/innen reduziert werden.

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

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