Zehnkämpfer der Bildung: Lehrpersonen für die Maturitätsschulen im Allgemeinbildenden Unterricht ABU an Berufsfachschulen

ABU

Simon Zurbrügg ist Gymnasiallehrer für Geschichte, Berufsfachschullehrer für den allgemeinbildenden Unterricht ABU und Doktorand. Wie kam es dazu, dass der Historiker mit gymnasialer Lehrbefähigung vor  vier Jahren eine zusätzliche Ausbildung für eine weitere Lehrbefähigung in der Welt der Berufsbildung am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB in Angriff nahm? Sein Entscheid war doppelt motiviert: Er hatte als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Analyse von Bildungsplänen Einblick in die Berufsbildung gewonnen und ein Interesse an der Vielfalt von Berufswelten entwickelt. Er wusste auch, dass die Job-Chancen an Maturitätsschulen für einen Geschichtslehrer nicht allzu rosig sind. Als er wenig später die Gelegenheit bekam, als stellvertretender ABU-Lehrer an einer Berufsfachschule zu unterrichten, stand für ihn fest, dass er (diplomierter) Profi für Allgemeinbildung in der Berufsbildung werden wollte – was er heute auch tatsächlich ist.

Faszinierend findet Zurbrügg am ABU, «als eine Art Zehnkämpfer der Bildung verschiedene Inhalte vermitteln zu können». Der thematisch organisierte ABU fordert ihn heraus, alltagsnahe Situationen mit den Lernenden aus verschiedensten Perspektiven zu beleuchten – beispielsweise aus rechtlicher, ökonomischer und ökologischer, aber auch aus ethischer Sicht – und dabei immer auch die Sprache und Kommunikation der Lernenden zu fördern. «Anders als am Gymnasium, wo mehrheitlich deduktiv unterrichtet wird und oft eine abstrakte Ebene Ausgangspunkt der Vermittlung ist, versucht man im ABU, an das lebensweltliche Vorwissen der Lernenden anzuknüpfen und erst in einem zweiten Schritt auf die Makroebene zu gelangen.»

ABU an Berufsfachschulen: Ein attraktiver Weg für Gymnasiallehrpersonen

Obwohl Zurbrügg gelegentlich bedauert, sein Hauptstudienfach Geschichte nicht disziplinär und im Rahmen einer respektablen Lektionenzahl unterrichten zu können, würde er heute die Ausbildung zum ABU-Lehrer sofort wieder absolvieren. Der Challenge, ausgehend von einem lebensweltlich brisanten Problem Allgemeinbildung zu unterrichten und sich eines vernetzenden Zugangs zu bedienen, nimmt er als extrem aktivierend und als gesellschaftlich wichtig wahr: «Es macht doch Sinn, dass im Lernbereich Sprache und Kommunikation die wenigen und anwendungsbezogenen Regeln und Strategien im Zentrum stehen, die den Lernenden beim Kommunizieren, Lesen und Schreiben in privaten oder beruflichen Situationen auch tatsächlich helfen und im Lernbereich Gesellschaft thematisiert wird, was Lernende biografisch, politisch und gesellschaftlich umtreibt.»

Neben den didaktischen Zumutungen der Allgemeinbildung in der Berufsbildung sind die erhöhten Arbeitsmarktchancen und damit auch die finanzielle Sicherheit Pluspunkte in seiner Karriere-Bilanz, zumal auch das Diplomstudium in weiten Teilen seinen Erwartungen entsprach. Erbrachte Vorleistungen der Ausbildung zum Gymnasiallehrer und natürlich seine fachwissenschaftlichen Kompetenzen wurden angerechnet und verkürzten sein Diplomstudium.

Ob die Zusatzausbildung für alle Gymnasiallehrpersonen eine Option ist, bezweifelt Zurbrügg und formuliert eine Bedingung sine qua non: «Die Haltung der Gymnasiallehrperson gegenüber der Welt der Berufsbildung muss meiner Meinung nach offen und wohlwollend sein – offen in dem Sinn, als sich die Lehrperson für die Lebenswelt der Berufslernenden tatsächlich interessiert; wohlwollend insofern, als die Lehrperson die Allgemeinbildung in der Berufsbildung nicht mit der gymnasialen Allgemeinbildung aus einem bildungsbürgerlichen und akademischen Blickwinkel heraus abwertend betrachtet, sondern als anders, aber gleichwertig anerkennt.»

  1. Zurbrügg, persönliches Interview, 30. Oktober, 2017

 

ABU an Berufsfachschulen: Interessierte Gymnasiallehrpersonen sind gefragt

Lehrpersonen, die sich für die thematisch organisierte Allgemeinbildung an Berufsfachschulen interessieren und sich für den ABU qualifizieren, sind für die Berufsfachschulen in mehrerer Hinsicht ein Gewinn.

Starker fachwissenschaftlicher Bildungshintergrund

Gymnasiallehrpersonen nehmen als Lehrpersonen ABU zwar Abschied vom disziplinären Unterricht, nicht aber von ihrem eigenen fachwissenschaftlichen Bildungshintergrund. Dieser spielt gerade für die stark lebensweltbezogene und kompetenzorientierte Allgemeinbildung an Berufsfachschulen eine zentrale Rolle. Lehrpersonen ABU verfolgen das generelle Ziel, die Berufslernenden in ihrer gesellschaftlichen und sprachlichen Handlungsfähigkeit zu stärken – und das ist ohne fachwissenschaftlichen Durchblick nicht machbar. Denn: Wo immer Kompetenzen weiterentwickelt werden, braucht es Personen, die die Kompetenzentwicklung fundiert begleiten. Der ABU visiert verschiedenste Bereiche an, in denen die Lernenden kognitive Ressourcen und Kompetenzen aufbauen, die allesamt in alltäglichen und beruflichen Situationen handlungsleitend sein können. Gemeint sind unter anderen die Sprach- und Kommunikationskompetenz, alltagsrelevante Wirtschafts- und Rechtsressourcen, ethische und kulturelle Ressourcen, dann politische und schliesslich technologiebezogene Ressourcen. Dass eine einzelne Lehrperson alle die genannten Bereiche gleichermassen tief durchmessen und verstehen könnte, ist unwahrscheinlich. Umso wichtiger ist es, Fachpersonen der verschiedensten Disziplinen in die Lehrpersonen-Kollegien der Berufsfachschulen einzubinden. Als Profis eines bestimmten Bereichs können sie für die anderen Lehrpersonen inhaltliche und fachdidaktische Impulse geben und das Fach ABU bezogen auf ihren angestammten fachwissenschaftlichen Bereich weiterentwickeln.

Förderung von leistungsstarken Lernenden in der Berufsbildung

ABU-Teams an Berufsfachschulen sind Meister der Heterogenität – Lehrpersonen, die sich den Bedürfnissen und der Förderung von Leistungsschwächeren annehmen gehören ebenso dazu wie Lehrpersonen, die sich auskennen, wenn es um die Bedürfnisse und Förderung von Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern geht. In ABU-Klassen diverser Berufsgruppen sitzen Lernende, die sich zwar für eine Berufslehre entschieden haben, die aber ohne weiteres auch den gymnasialen Weg hätten wählen können. Diese Lernenden brauchen Herausforderungen und ambitionierte schulische Ziele. Ausgebildete Gymnasiallehrpersonen kennen das Phänomen ‚Hochbegabung‘ und können freudig und professionell damit umgehen.

Starke transversale Kompetenzen

Lehrpersonen mit einem universitären Masterabschluss in einer bestimmten Fachwissenschaft verfügen darüber hinaus auch über eine Reihe von überfachlichen oder transversalen Kompetenzen, die sie in ihrem Studium anhand ihrer Disziplin aufgebaut haben, z.B. selbstorganisiertes Lernen, Recherchekompetenzen, kritisches Denken, Reflexionskompetenzen. Diese Kompetenzen spielen in einer zunehmend komplexer werdenden Welt eine immer grössere Rolle – auf der Ebene der Lehrpersonen wie auch auf der Ebene der Lernenden. Gymnasiallehrpersonen können diese an der Universität erworbenen und praktisch genutzten überfachlichen Kompetenzen in den Dienst der Lernenden stellen und die Lernenden zugleich im Aufbau ebendieser Kompetenzen professionell unterstützen.

Die Stärken der Durchlässigkeit des Berufsbildungssystems nutzen

Das Schweizerische Berufsbildungssystem zeichnet sich durch eine hohe Durchlässigkeit aus, welche individuelle Wahl- und Gestaltungsspielräume in beruflichen Laufbahnen eröffnet und die Grundlage für vielfältige Professionsentwicklungen bietet. So nehmen sich beispielsweise zahlreiche Lehr- und Lerngefässe in den heutigen Ausbildungsstudiengängen zur Maturitätslehrperson an der Pädagogischen Hochschule bereits explizit einer Themen- bzw. disziplinübergreifenden Orientierung an (z.B. Team-Teaching, Interdisziplinäre Zusammenarbeit/Projektarbeiten) und bieten damit für die anschliessende Ausbildung zur ABU-Lehrperson eine Sensibilisierung im Hinblick auf ein disziplinübergreifendes Lehr- und Lernverständnis. Diese Durchlässigkeit gilt es weiterhin zu stärken. Mit einer fundierten Ausbildung von Lehrpersonen der Maturitätsschulen für den Allgemeinbildenden Unterricht in der Berufsbildung kann auf horizontaler Ebene der Sekundarstufe II ein wichtiger Schritt in diese Richtung gemacht werden. Für den Unterricht und die Lernenden ergibt sich daraus ein Gewinn durch die gegenseitigen fachlichen, didaktischen und transversalen Stärken der Allgemeinbildung an Mittel- und Berufsfachschulen.

 

Autorenteam: Dr. Ruth Bondeli, André Zbinden-Bühler (EHB) & Dr. Janine Gut (PHLU)

 

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