Sensibel und kompetent mit Heterogenität umgehen

Heterogenität ist kein neues Thema von Erziehung und Bildung, die Schule hat sich seit jeher mit dem Spannungsfeld von Gleichheit und Verschiedenheit auseinandergesetzt. Dieser Artikel klärt wichtige Grundbegriffe und zeigt auf, wie das Thema in der Ausbildung und übergeordnet an der PH Luzern verankert ist.

Die Forderung nach einem Unterricht, der sich an alle Kinder und Jugendlichen richtet wie auch die gesellschaftliche Sicht auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft bekräftigen allerdings die Auffassung, Heterogenität als wichtige Voraussetzung in schulischen Lernsituationen zu beachten. Zur Aktualität beigetragen haben zudem Forschungsstudien, die der Vorstellung, Jahrgangsklassen seien in Bezug auf die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler homogen zusammengesetzt, jegliche empirische Basis entzogen. Auch in angeblich«homogenen» Klassen bringen Lernende für die Fachinhalte der Schule unterschiedliches Vorwissen mit, sie benötigen für dieselbe Lernaufgabe unterschiedlich viel Zeit, sind auf unterschiedliche Repräsentationen des Lerninhaltes angewiesen und ihre Motivation und Interessen sind verschieden ausgeprägt.

Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass sich Heterogenität durch die Zerlegung von Gruppen in immer kleinere Einheiten nicht überwinden bzw. auflösen lässt. Das Streben nach «homogenen» Lerngruppen führte vielmehr zu einer zunehmenden Zahl von Repetentinnen und Repetenten, einer immer höheren Aussonderung von Lernenden in spezielle Schulen und einem immer umfassenderen und differenzierteren Therapiesystem. Vielversprechender erweisen sich hingegen Unterrichtskonzepte, welche die vorhandene Vielfalt nicht als ‚Störgrösse‘ auffassen, sondern adaptiv auf die vorgefundene Heterogenität reagierten und vielfältige Lernprozesse unterstützen.

In der aktuellen Bildungsdebatte wird das Konzept der Heterogenität zunehmend durch das der Diversität erweitert. Nimmt man die vollständige Nichtbeachtung von Heterogenität als Ausgangspunkt, können in Anlehnung an Sliwka (2010) drei verschiedene Konzepte des Umgangs mit Vielfalt beobachtet werden:

  • Homogenität: Die Lernenden werden als gleich betrachtet und werden mit einem identischen Unterrichtsangebot konfrontiert.
  • Heterogenität: Die Lernenden werden in Bezug auf ausgewählte Merkmale (z.B. Schulleistung, Alter, Herkunft) unterschiedlich betrachtet, wobei diese Merkmale häufig einzeln und somit nicht als miteinander verbunden aufgefasst werden. Im Unterricht werden einzelne Anpassungen vorgenommen, um den unterschiedlichen Lernbedürfnissen gerecht zu werden.
  • Diversität: Die Lernenden werden als unterschiedlich wahrgenommen, wobei die Unterschiede und Gemeinsamkeiten als aufeinander bezogen, und als wandelbar eingeschätzt werden. Eine klare Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe ist nicht oder nur situativ möglich. Unterschiedlichkeit dient als Ressource für individuelles und wechselseitiges Lernen und Entwicklung.

Die Unterrichtsangebote konsequent auf die Lernmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler auszurichten, ist anforderungsreich, denn nach wie vor ist der Unterricht an Schulstrukturen (z.B. Jahrgangsklassen) und Vorgaben (z.B. zur Leistungsbeurteilung) gebunden, welche primär auf Selektion und Homogenisierung ausgerichtet sind. Umso wichtiger ist, dass sich die angehenden Lehrpersonen mit den aktuellen Anforderungen an einen chancengerechten Umgang mit Heterogenität in ihrem Studium auseinandersetzen und diese Anforderungen mit den gegebenen schulischen Strukturen in Bezug setzen: Um Handlungsmöglichkeiten auszuloten und Kompetenzen aufzubauen, die befähigen, sich den Herausforderungen zu stellen.

Umgang mit Heterogenität in der Ausbildung

Leitend für die Ausbildung in allen Studiengängen ist der Referenzrahmen der PH Luzern. Für den Umgang mit Heterogenität ist die «Kompetenz zur adaptiven Lernbegleitung und Beratung» beschrieben (PH Luzern 2012). Die Kompetenz beinhaltet, die unterschiedlichen Bedürfnisse, die verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder zu berücksichtigen und diese in Bezug zu den Anforderungen der Bildungsziele zu setzen. Lehrpersonen stellen entsprechende spezifische Anregungen und Angebote bereit und verfügen über Strategien, um die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler anzuregen, zu begleiten, zu reflektieren und zu evaluieren. Indem Lehrpersonen auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem sozialem, sprachlichem und kulturellem Hintergrund eingehen, unterstützen sie das Lernen in der «Zone der nächsten Entwicklung».

Verschiedene Module der Bildungs- und Sozialwissenschaften, der Fachdidaktiken wie auch die Berufsstudien unterstützen die Studierenden beim Aufbau der Kompetenz zur adaptiven Lernbegleitung und Beratung. Neben Modulen, die sich mit den Grundfragen zum Umgang mit Heterogenität befassen (im Grundjahr), setzen andere Module im weiteren Verlauf des Studiums die Schwerpunkte auf fachdidaktische Fragestellungen (z.B. zur Erfassung von fachlichen Kompetenzen oder zur inneren Differenzierung des Unterrichts), zur adaptiven Unterrichtsgestaltung und Lernbegleitung oder zur integrativen Unterstützung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen.

Heterogenität und Diversität an der PH Luzern
Die PHLU greift die Heterogenität und Diversität übergeordnet in ihrer (künftigen) Strategie auf und verleiht damit dem Thema zusätzliche Bedeutung. Unter dem Titel «Förderung des konstruktiven Umgangs mit der Heterogenität in Schule und Bildung» ist festgehalten: «Die PH Luzern versteht Verschiedenheit als Bereicherung und strebt Chancengerechtigkeit auf allen Ebenen an – von der einzelnen Klasse bis hin zu Schule und Hochschule. Die PH Luzern begleitet und bereitet Lehrpersonen und weitere Bildungsfachleute auf ihre Arbeit an Schulen als bedeutsamen Orten der sozialen Integration vor» (PH Luzern 2015).

Bei der Umsetzung der entworfenen Strategie kann sich die Hochschule u.a. auf den Entwicklungsschwerpunkt (ESP) Heterogenität und Integration in Schulen, die Stabstelle Chancengleichheit und das Institut für Schule und Heterogenität (ISH) stützen:

ESP Heterogenität und Integration in Schulen: Der ESP baut die Expertise von Dozierenden und Mitarbeitenden an der PH Luzern zu Themen der Heterogenität und Integration über Foren des Austauschs und über der Realisierung von Projekten systematisch aus. Ziel ist es, die fachliche Weiterentwicklung in diesem Bereich zu stärken. 2015 erhielten nach einem Auswahlverfahren vier Projekteingaben den Zuschlag für die finanzielle Unterstützung (Eine Auflistung der Projekteingaben finden Sie hier).

Stabstelle Chancengleichheit: Die PH Luzern anerkennt in ihrer Diversity-Politik von 2011 die Vielfalt ihrer Studierenden und Mitarbeitenden als Potenzial und Ressource. Die Stabstelle unterstützt die Hochschule bei der Umsetzung dieses Auftrags. Sie initiiert und begleitet Projekte im Bereich Gender und Diversity und steht Hochschulangehörigen und Studierenden als Anlaufstelle für Fragen in Bezug auf Chancengleichheit, (Nicht-)Diskriminierung und Diversität zur Verfügung.

Institut für Schule und Heterogenität (ISH): Das ISH untersucht in seinen Forschungs- und Entwicklungsprojekten ausgewählte Fragen zur Heterogenität, insbesondere unter den Aspekten der Integration bzw. Inklusion wie Behinderung/Beeinträchtigung, Alter (Altersdurchmischung), Migration (Mehrsprachigkeit, Interkulturalität) und sozialer Herkunft. Die Forschungsprojekte analysieren, wie die schulischen Angebote auf die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler hin angepasst werden können. Zur Unterstützung von Lehrpersonen entwickelt das Institut theoretisch fundierte und praxisnahe Hilfestellungen und unterstützt durch Beratung und Evaluation das professionelle Arbeiten in heterogenen Lerngruppen.

Die PH Luzern öffnet sich den Herausforderungen, die aus der Anerkennung der Heterogenität und Diversität für Schule und Bildung resultieren. Eine Herausforderung für die Zukunft ergibt sich in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteuren und Disziplinen mit dem Ziel, Lehrpersonen fit zu machen für eine Schule, die in allen Fächern und Bereichen fähig ist, sensibel und kompetent mit Heterogenität und Diversität umzugehen.

Text: Alois Buholzer

Heterogenität in der Schule (Symbolbild: Jesco Tscholitsch)

Verwendete Literatur:

PH Luzern (2012). Referenzrahmen der PH Luzern. Luzern: PH Luzern.

PH Luzern (2015). Strategie 2016-2025. Luzern: PH Luzern (unveröffentlichter Entwurf).

Sliwka, A. (2010). From homogeneity to diversity in German Education. In: OECD: Effective Teacher Education for Diversity: Strategies and Challanges. Paris: OECD (S. 205-217).

Alois Buholzer (Archivbild)

Alois Buholzer leitet das Institut für Schule und Hetereogenität und ist Mitglied des ESP-Teams Heterogenität und Integration in der Schule.


Theaterwerkstatt: Vom gestaltenden Individuum zum theatralen Gemeinschaftswerk
Die Theaterwerkstatt ist der der dritte Teil aus der Werkstatt-Trilogie und ist ein Produkt des Zentrum Theaterpädagogik (Ursula Ulrich). Mit der praktischen Durchführung kunstspartenübergreifender Theaterprojekte wird versucht, die Ausdrucksvielfalt der Kinder heterogener Klassen mit Methodenvielfalt aufzugreifen.

KonProgress Integration
Erarbeitung eines Konzeptes für einen 2-tägigen Fachkongress (im 2-Jahres-Rhythmus) mit integriertem Projektteil (Projektbiotope) zur pädagogischen Arbeit mit Heterogenität und Integration in Schulen (Robert Langen).

Diversität – Vielfalt der Studierenden an der PH Luzern (Diversity-Studie)
Ziel des Projektes ist eine Studie zu den Diversity-Kategorien bei Studierenden. Die Vielfalt der Studierenden soll nicht nur erkannt und anerkannt werden – vielmehr soll die Studie Grundlagen liefern, um die Adaptationssituation und den Studienerfolg unterschiedlicher Studierendengruppen optimal gestalten zu können (Elke Kappus).

Kooperationssituationen im Kontext schulischer Heterogenität und Integration
Das Projekt zielt auf die Erfassung konkreter Kooperationssituationen im Kontext schulischer Heterogenität und Integration auf Lehrpersonenebene und deren (möglichen) Auswirkungen auf die Lernprozesse von Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf. Es geht darum zu eruieren, wie sich die Zusammenarbeit der jeweils an einer Klasse tätigen Lehrpersonen (Regelpädagogik, Heilpädagogik, interkulturelle Pädagogik) konkret gestaltet (Bruno Zobrist, Robert Langen)

 

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