Zahlt sich Weiterbildung aus?

Zahlt sich Weiterbildung aus? Meine spontane Antwort lautet: Ja, fraglos! Weiterbildung lohnt sich. Die faktengestützte Antwort jedoch fällt widersprüchlicher aus und führt zu weiteren Fragen.

Zunächst gilt es, den Begriff „Weiterbildung“ näher zu bestimmen (wer sich mit der schweizerischen Bildungssystematik auskennt, kann die nächsten 4 Abschnitte überspringen). Ich beziehe mich dabei auf den Schweizerischen Bildungsbericht 2014 (SKBF, 2014, S. 267f). Weiterbildung oder Erwachsenenbildung wird als ein bestimmter Aspekt des ‚lebenslangen Lernens‘ betrachtet. Am gebräuchlichsten zur Unterscheidung der verschiedenen Bildungsaktivitäten, die sich über das ganze Leben hinweg erstrecken können, ist die Klassifikation nach UNESCO, OECD und EU. Diese unterscheidet nicht zwischen Grundausbildung und Weiterbildung, sondern zwischen formaler, nichtformaler und informeller Bildung. Klassifiziert wird hier also nach dem Institutionalisierungsgrad der Bildungsaktivität.

Weiterbildung gilt nach dieser Systematik als nichtformale Bildung und wird dabei von formaler und informeller Bildung unterschieden. Nichtformale Bildung umfasst alle organisierten Lernaktivitäten ausserhalb des formalen Bildungssystems (Abbildung 1) und wird gelegentlich auch als Quartärstufe bezeichnet. Nichtformale Bildungsaktivitäten finden in einem organisierten und strukturierten Rahmen im beruflichen oder ausserberuflichen Kontext statt. Beispiele sind: Kurse im Betrieb oder bei einem Bildungsanbieter, Privatunterricht, ein NDK oder NDS an einer höheren Fachschule, ein CAS oder MAS an einer Hochschule.

Als „formale Bildung“ werden die staatlich geregelten Abschlüsse im hierarchisch strukturierten Bildungssystem bezeichnet, welches sich in Primar-, Sekundar- und Tertiärstufe gliedert. Beispiele sind: Eidg. Fähigkeitszeugnis, Matura, Abschlüsse der höheren Berufsbildung, EDK-Lehrdiplome, SBFI-Lehrdiplome für Berufsfachschulen oder höhere Fachschulen, Hochschulabschlüsse wie Bachelor, Master oder Doktorat.

Mit dem Begriff „informelle Bildung“ schliesslich sind alle Aktivitäten gefasst, die einem Lernziel dienen, aber ausserhalb organisierter Lernsettings oder  -beziehungen stattfinden, sei dies mittels Lehrmitteln und -medien, Beobachtungen, Experimentieren etc. – die Formen sind vielfältig.

Bildungssystem Schweiz

Abbildung 1

Ein Blick in den OECD-Bericht 2014 zeigt auf, dass Personen mit einem höheren Abschluss der formalen Bildung in der Regel auch besser entlöhnt werden. Erwachsene mit einem Abschluss im Tertiärbereich verdienen in allen OECD-Ländern mehr als Erwachsene mit einem Abschluss der Sekundarstufe II. Diese wiederum verdienen mehr als Erwachsene mit einer Ausbildung unterhalb des Sekundarstufe II (OECD, 2014, S. 169).

Die Schweiz befindet sich diesbezüglich im europäischen Mittelfeld. Personen mit einem obligatorischen Schulabschluss verdienen hierzulande 23% weniger als Personen mit einem Abschluss Stufe Sek II (europäischer Durchschnitt 20%, Deutschland 16%, Österreich 30%). Dieser Effekt erhöht sich weiter bei Personen, die über eine höhere Berufsbildung (Tertiär B) verfügen (europäischer Durchschnitt 30%). Bei Personen, die einen Hochschulabschluss erlangt haben (Tertiär A) beträgt der Einkommensnterschied in der Schweiz gegenüber Personen mit einem Sek II-Abschluss 58% (europäischer Durchschnitt 70%, Deutschland 74%, Österreich 71%). Der Unterschied schliesslich zwischen Personen mit einem obligatorischen Schulabschluss und solchen mit einem Abschluss der Tertiärstufe (höhere Berufsbildung oder Hochschule) beträgt in der Schweiz 81% (europäischer Durchschnitt 90%, Deutschland 90%, Österreich 101%) (Abbildung 2).

infografik_2697_Einkommensunterschiede_in_Prozent_im_Vergleich_zum_Abschluss_der_Sekundarstufe_II_n

Abbildung 2

Die Einkommenunterschiede sind bei der formalen Bildung damit offenkundig: Je höher der Abschluss, desto besser i.d.R. das Einkommen.

Wie sieht nun der monetäre Nutzen bei Weiterbildungen aus? Besteht hier derselbe Zusammenhang?

Die Folgerung liegt nahe, dass nichtformale Bildungen, bzw. Weiterbildungen, gleichermassen wie die Ausbildungen, bzw. formale Bildungen direkt lohnrelevant sind. Diese Annahme wird auf den ersten Blick durch einen Befund des Bildungsberichtes Schweiz 2014 gestützt. Dieser zeigt auf, dass Personen mit einer Tertiär-Ausbildung über viermal mehr Weiterbildungsaktivitäten ausweisen als Personen mit einem obligatorischen Schulabschluss (SKBF 2014, S. 268 ff).

Abbildung 3

Zwischen Weiterbildungsaktivitäten und Einkommensverbesserungen besteht jedoch laut Schweizerischem Bildungsbericht 2014 keineswegs ein kausaler Zusammenhang. „Die empirische Evidenz für Wirkungen von Weiterbildungsmassnahmen etwa auf den Lohn ist unsicher, und wenn überhaupt Effekte nachgewiesen werden, sind sie eher gering.“ (SKBF, 2014, S. 273). Die monetären individuellen Verbesserungen lassen sich, so der Bericht, nicht linear auf Weiterbildungsaktivitäten zurückführen, sondern beruhen vielmehr auf anderen Faktoren wie etwa den Selektionsentscheidungen von Vorgesetzten, welche die produktiveren Mitarbeitenden für Weiterbildungen auswählen oder deren Weiterbildungsvorhaben unterstützen (SKBF, 2014, S. 273). Das bedeutet, dass sich formale Bildung, bzw. Ausbildung direkt auf das Einkommen auswirken, dieser Zusammenhang jedoch bei nicht-formaler Bildung, bzw. Weiterbildung nicht mehr gegeben ist.

Beunruhigend erscheint zudem, dass Weiterbildung die Schere zwischen formal tiefer und höher gebildeten Menschen nicht etwa zu verringern vermag, sondern diese im Gegenteil noch weiter öffnet. Weiterbildung führt somit paradoxerweise nicht zu sozialem Ausgleich, sondern zu zusätzlicher sozialer Disparität. Die Schweiz ist diesbezüglich im europäischen Vergleich Spitzenreiter. In der Schweiz ist die Anzahl an Weiterbildungsaktivitäten bei Personen mit Tertiär A-Abschluss im europäischen Vergleich am höchsten. Das ist sicherlich positiv zu werten. Gleichzeitig ist aber auch der Unterschied an Weiterbildungsteilnahmen zwischen Personen mit obligatorischer Schulbildung und denjenigen mit einem Abschluss auf Tertiärstufe im europäischen Vergleich am deutlichsten ausgeprägt (SKBF, 2014, S. 276), (Abbildung 3).

Bedeutet dies nun, dass sich Weiterbildung nicht auszahlt? Das wäre wieder zu kurz gegriffen. Weiterbildung zahlt sich auf drei Ebenen aus: der Ebene des Individuums, des Arbeitgebers sowie der Gesellschaft. Auf der individuellen Ebene wie auf derjenigen des Arbeitgebers liegt der Nutzen in monetären wie nicht-monetären Aspekten, wie Produktivitätssteigerungen, Lohnsteigerungen, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Verbesserung der Arbeitsmarktchancen, grössere Arbeitsplatzsicherheit, Wissenszuwachs, persönliche Entfaltung und Emanzipation. Der gesellschaftliche Nutzen zeigt sich in Wachstum und Innovation, höherem Steuerertrag, verringerter Arbeitslosigkeit, besserer Wettbewerbsfähigkeit, erhöhter politische Beteiligung, Prävention gesellschaftlicher Risiken u.a.m. Hochentwickelte Wissensgesellschaften wie die Schweiz sind auf Menschen angewiesen sind, die sich kontinuierlich beruflich weiterbilden (SKBF, 2014, S. 273).

Als Antwort auf die eingangs gestellte Frage lässt sich somit sagen, dass sich Weiterbildungsaktivitäten zwar nur bedingt lohnbezogen auszahlen, sich jedoch Weiterbildungen und deren Förderung durch den Arbeitgeber oder die Gesellschaft zweifelsohne lohnen. Es stellt sich dennoch oder gerade deswegen auch die Frage, wie die sich durch Weiterbildung verstärkenden sozialen Ungleichheiten zwischen gering und gut qualifizierten Menschen, welche gerade in der Schweiz besonders deutlich ausgepägt sind, verringert werden können.

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

 

3 Kommentare zu “Zahlt sich Weiterbildung aus?

  1. Vielen Dank für die informative Zusammenfassung.
    Es wäre eine Bereicherung für die gesamte (schweizerische) Bevölkerung, wenn die soziale Ungerechtigkeit ein Ende fände. Mit einem gesunden und starken Mittelstand steigt die Zufriedenheit und der Zusammenhalt.

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