Die digitale Bildungsreform – eine Herausforderung für Schulleitende

Der Druck der Digitalisierung im Bildungsbereich nimmt zu. Mit der Einführung des Modullehrplans Medien und Informatik des Lehrplans 21 wird ein wichtiger curricularer Schritt vollzogen. Es ist nun an den Schulleitungen, eine darüberhinausgehende Digitalisierungsstrategie festzulegen. Bei aller Begeisterung und Faszination für das Digitale, dürfen die sich herausgebildeten Stärken der Schulen nicht unbesonnen über Bord geworfen werden.

Technologische Innovationen in der Bildung wie E-Portfolio, MOOC, PeerGrade, Google Share, SWITCHdrive, Sketchboard, Nearpod, LearningApps usw. bieten Lehrpersonen neue Möglichkeiten, ihren Unterricht, den Lehr- und Lernprozess oder auch den Austausch mit den Eltern und Kolleginnen und Kollegen neu zu gestalten. So können mit neuen Technologien kollaborative Projektarbeiten klassenübergreifend gefördert, Rückmeldungen unter Peers gemanaged, die Kommunikation vereinfacht, Klassenpublikationen professionalisiert oder Faktenwissen spielerisch eingeübt werden.

Die schöne neue Welt der Digitalisierung

Der aktuelle Schwung in der Digitalisierungsdebatte bringt unumstritten frischen Wind in die Schulstuben. Mit der Einführung des Modullehrplans Medien und Informatik des Lehrplans 21 sind Schulen, Schulleitungen und Lehrpersonen einerseits gefordert, mit digitalen Technologien kompetent umzugehen und anderseits sich in den Bezugswissenschaften Informatik, Computer Science und Medienbildung zu qualifizieren (z.B. CAS Medien und Informatik). Der versierte Umgang mit digitalen Systemen und das reflektierte Verständnis von Informatik und Computer Science gehören heute zum Einmaleins einer Lehrperson. Ähnlich wie andere Fächer eigenen sich auch Medien und Informatik ausgezeichnet, um überfachliche Kompetenzen zu fördern und ihre Technologien und Perspektiven in unterschiedlichsten Fachunterrichten, nutzbar zu machen.

Auguren der Digitalisierung versprechen nicht nur neue Hilfsmittel für die Schulen, den Unterricht, die Lehr- und Lernprozesse, sondern auch eine neue Pädagogik. Dabei wird prophezeit, dass diese neue Pädagogik die scheinbaren Mankos der aktuellen Pädagogik (z.B. Unverbundenheit mit der realen Welt, Chancenungleichheit, lehrpersonenzentrierter Unterricht) auszumerzen vermag. Ein Hauptargument für die Digitalisierung der Schule aber ist, die Schülerinnen und Schüler adäquater auf die künftigen Herausforderungen, d.h. auf die digitale Wirtschaft vorzubereiten. Es seien insbesondere Kompetenzen wie Kreativität, Problemlösungs- und Kooperationsfähigkeit sowie die Kollaboration mit neuen Technologien (z.B. künstliche Intelligenz), welche durch eine „digitale Pädagogik“ gefördert würden.

Digitalisierungsstrategie und die Grenzen der Digitalisierung

Schulleitungen stehen heute vor der schwierigen Aufgabe, für ihre Schulen und den Unterricht ihrer Schulen eine Digitalisierungsstrategie festzulegen. Diese muss nicht nur im Einklang mit dem Lehrplan und den verfügbaren Ressourcen sein. Sie muss sich auch in die bestehende Schulkultur einfügen, da auch das Digitale nicht einfach über eine Schule gestülpt werden kann.

Wo die Grenzen der Digitalisierung im Schulbereich liegen, zeigt das sehr lehrreiche Beispiel der „Downtown School“ in den USA. Die neue Schule war mit grosszügiger finanzieller und ideologischer Unterstützung von Philanthropen ausgestattet worden. Ziel der „Downtown School“ war es, die Schülerinnen und Schüler ins Zentrum zu stellen, die Schule zu „digitalisieren“ und Gamification als Leitidee zu nutzen. In einer sehr differenzierten Analyse kommt Christo Sims in seinem Buch aus dem Jahr 2017 „Disruptive Fixation. School Reform and the Pitfall of Techno-Idealism“ zum Schluss, dass sich die Downtown School über die Jahre einer konventionellen Schule angeglichen hat. Sims schreibt: „They quickly became much like the organisations that they aimed to replace“. Es war sowohl die Schulleitung, wie auch die Lehrpersonen, Eltern und Schüler/-innen und Schüler, die das tägliche Schulleben an der ambitionierten „digitalen Reformschule“ zunehmend konventionell ausgestalteten. Denn letztlich mussten die Schülerinnen und Schüler den konventionellen Massstäben genügen, um im meritokratischen Schulsystem zu reüssieren.

Diese „Reformresistenz“ – oder der Ideosynkratismus – von Schulen, wie das bereits die Neoinstitutionalisten Paul DiMaggio und Walter W. Powell 1983 theoretisch erfasst haben (vgl. DiMaggio and Powell, 1983), gilt es bei einer Digitalisierungsstrategie für eine Schule zu berücksichtigen. Es ist an den Schulleitungen die „Digitalisierung“ in den Schulen so umzusetzen, ohne dass dabei das Bewährte als etwas Veraltetes abgelöst und durch etwas scheinbar „Neues“ ersetzt wird und die Schülerinnen und Schüler dennoch in den neuen Disziplinen Informatik, Computer Science und Medien ihre Kompetenzen wesentlich ausbauen können.

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

Twitter: @juergarpagaus

Ein Kommentar zu “Die digitale Bildungsreform – eine Herausforderung für Schulleitende

  1. Vielen Dank für einen sehr aufschlussreichen Artikel. Früher habe ich gedacht, dass nur der IT Bereich sich schnell entwickelt. Jetzt sehe ich, dass dazu noch Pädagogik gehört.
    Sehr geehrte Jürg Arpagaus, was meinen Sie in dem Satz „lehrpersonenzentrierter Unterricht“?
    Ich warte ungeduldig auf die Antwort
    Danke!

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