Die digitale Disruption in der Bildung: Gig-Education

Die Digitalisierung induziert neue Organisationsformen. Airbnb oder Uber nutzen Plattform-Geschäftsmodelle, die sich fundamental von den Organisationen des 20. Jahrhunderts unterscheiden. Bringt das Plattform-Geschäftsmodell die „digitale Disruption“ in die Bildung? Werden künftig Lehrpersonen nur noch Gigs bearbeiten?

Katja sitzt zu Hause und arbeitet den LP21-Onlinekurs „Konsum II“ durch. Es wird der Einfluss von Marketingstrategien auf die Konsumentscheidungen behandelt. Ihr Auftrag auf die nächste Präsenzlektion ist, ein ePlakat zu posten, das die Marketingstrategie eines frei gewählten Produkts darstellt. Katja braucht Unterstützung bei der Interpretation von statistischen Daten zum gewählten Produkt. Sie setzt ihr Headset auf und wählt die Nummer von EduABC, einer kommerziellen Plattform, die Schülerinnen und Schüler der Volksschule automatisch mit einer geeigneten Lehrperson verbindet. EduABC kennt Katjas Bildungsverlauf, ihren Lernstand, macht Katja von Zeit zu Zeit Kurs- und Übungsvorschläge und weiss auch von Katjas Rückmeldungen, welche Lehrperson ihr in der Vergangenheit weiterhelfen konnte.

Von der Festanstellung zum Gig

Die Digitalisierung hat neue Geschäftsmodelle hervorgebracht. Airbnb oder Uber sind zwei erfolgreiche Beispiele, die mit dem Plattform-Geschäftsmodell neue Dienstleistungen für Millionen von Menschen anbieten. Plattformen verändern nicht nur die Geschäftsmodelle der Anbieter, sondern auch die Organisation und das Verhältnis zu den Mitarbeitenden. Zunehmend werden die Mitarbeitenden zu Freelancern, die pro Auftrag – oder Gig – bezahlt werden.

So werden heute beispielsweise klassische Callcenter mit Hunderten von Mitarbeitenden in Billiglohnländern aufgehoben. Die Bearbeitung von Anrufen wird neu über eine intelligente Plattform als „Gigs“ lokalen Freelancern übertragen. Die Freelancer arbeiten zuhause und bekommen entsprechend ihren Erfolgs- oder Verkaufsquoten vom System mehr oder weniger potentielle Kunden, d.h. Gigs zugespielt. Bei diesem leistungsorientierten System gibt es weder eine feste Anstellung noch einen festen Lohn.

Von der Gig-Economy zur Gig-Education

Dieses erfolgreiche Plattform-Modell – oder Gig-Economy – lässt sich auch auf die Schule übertragen. Lehrpersonen sitzen zu Hause, bis sie von einem Schüler/einer Schülerin einen „Gig“ bekommen, um sie oder ihn zu unterstützen. Das von den Schüler/innen ausgefüllte Bewertungssystem der Lehrperson steuert, ob und welche „Aufträge“ die Lehrperson künftig bekommen und letztlich, was sie verdient. Die Vorteile sind offensichtlich. Die Schüler/innen bekommen die individuelle Unterstützung, die sie im Moment vom System und von den Lehrpersonen benötigen. Die Lehrpersonen haben in diesem System den Anreiz, die beste mögliche individuelle Unterstützung zu bieten, um weitere Aufträge zu erhalten. Ferner ist das Modell skalierbar und die Fixkosten können auf viele Schüler und Schülerinnen verteilt werden. Das Qualitätsmanagement ist systeminhärent.

Digitalisierung der Welt ist eine politische Frage

Katja wird mit Frau Müller verbunden. Die ausgebildete Fachlehrperson für Mathematik konnte Katja in wenigen Minuten weiterhelfen und ihr Hinweise auf weiterführende Onlineangebote zu Statistik geben. Katja hat nach Abschluss des Gigs in der Kurzevaluation Frau Müller mit „gut“ und „sehr hilfreich“ bewertet.

Heute ist die Gig-Education nur ein Gedankenexperiment. Wenn der Kostendruck in der Volksschulbildung oder der Wunsch nach mehr Individualisierung in der Schule zunimmt, kann die Gig-Economy bzw. Gig-Education schnell Realität werden. Ob Gig-Education Realität wird oder nicht und wie sie aussehen soll, ist eine politische Frage. Deshalb, so meine ich, wird die grösste Herausforderung der Digitalisierung eine politische und keine technische. In Zeiten des beschleunigten technischen Wandels sollte nebst der technischen (z.B. Medien und Informatik) vor allem die politische Bildung gefördert werden.

Prof. Dr. Jürg Arpagaus, PH Luzern

@juergarpagaus

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