Lektüre für lange Herbstabende – Hatties 3. Streich

Vor kurzem ist die deutsche Übersetzung (Wolfgang Beywl, Klaus Zierer) zum 3. Buch von John Hattie in der „Visible Learning“-Reihe erschienen: „Lernen sichtbar machen aus psychologischer Perspektive“ (John Hattie und Gregory C.R. Yates, Schneider Verlag Hohengehren). Hattie bleibt dabei seinem Thema und seiner Vorgehensweise treu, ändert aber die Perspektive. Im neuesten Werk von Hattie und Yates liegt der Fokus beim Lernen und nicht beim Lehren – auch und gerade für die Hochschuldidaktik ein spannender Perspektivenwechsel, der einiges an Anregungen auszulösen vermag.

Im deutschen Sprachraum werden die Publikationen Hatties zum Thema „Lernen sichtbar machen“ begleitet und unterstützt durch eine umfassende Website des Übersetzerteams. Dahinter steckt eine Kooperation der Pädagogischen Hochschule FHNW (Professur Wolfgang Beywl) und der Universität Oldenburg (Lehrstuhl Klaus Zierer).

„Lernen sichtbar machen aus psychologischer Perspektive“ eignet sich auch als Zwischendurch-Lektüre, weil die 300 recht eng bedruckten Seiten sehr gut gegliedert sind. Das Buch umfasst 31 meist kurze Kapitel, die als eigenständige thematische Leseeinheiten gedacht sind und nicht in der vorgegebenen Reihenfolge gelesen werden müssen. Zudem sind die Kapitel didaktisch geschickt (!) aufgebaut: Meist dient eine anregende Frage, ein kleines Gedankenexperiment etc. als Einführung in die Thematik, die sich immer um das „Wesen des Lernens“ dreht. Es folgen in kurzen Unterkapiteln Ausführungen zu einzelnen Teilaspekten. Zum Schluss wird in der Textbox „Genauer betrachtet“ ein Fazit präsentiert gefolgt von Kontrollfragen (erste Reaktion: Braucht es die wirklich? Zweite Reaktion: Ups, habe ich unsorgfältig gelesen?).  Literaturhinweise, meist ausführlich kommentiert, runden die jeweiligen Kapitel ab.

Hattie und Yates betätigen sich einmal mehr als Aufklärer – mit neuestem Wissensstand.  Sie gehen davon aus, dass nur Lehrpersonen (inkl. Dozierende), die ein „tiefes Verständnis darüber besitzen, was es heisst zu lernen“, auch erfolgreich lehren. Trotz der Breite der behandelten Themen und der Vielzahl der rezipierten Studien bringen es die Autoren (und Übersetzer!) fertig, dass sich die Leserinnen und Leser dank geschickter Gliederung des Inhalts nicht in der Datenfülle verlieren. So ist das Buch in drei thematische Teile gegliedert, die 31 Kapitel sind jeweils bestimmten – meist auch mehreren – grundsätzlichen Prinzipien zugeordnet und immer wieder werden Bezüge zu den sogenannten Schlüsselkonzepten der Lernpsychologie hergestellt (soziales Lernen, Motivation, Informationsverarbeitung etc.).

Zur obligatorischen Lektüre für Lehrende aller Stufen sollten insbesondere jene Kapitel gehören, die sich mit den (weitverbreiteten) „abwegigen Ideen des menschlichen Lernens“ beschäftigen, die Hattie und Yates, wiederum untermauert durch Dutzende von Studien, als Trugschlüsse entlarven. Dazu gehören die Ausrichtung des Unterrichts auf individuelle Lernstile, die Legenden rund um die Digital Natives, die Entzauberung des Multitaskings etc.

Zum Schluss des Lesetipps darf der Hinweis auf das Kapitel 27 nicht fehlen 😉
Das Kapitel gehört zum 3. Teil des Buchs („Erkenne dich selbst“) und beschäftigt sich mit der Neurowissenschaft des Lächelns. Dem Plädoyer der Autoren, den wissenschaftlich breit belegten positive Effekt des fundamentalen sozialen Schlüsselreizes eines ehrlichen Lächelns auch im Unterricht einzusetzen,  bleibt wenig hinzuzufügen, … ausser vielleicht dass der weite Weg von internationalen evidenzbasierten Metastudien zur direkten Handlungsanweisung durch Hattie und Yates für den konkreten Unterricht hier und jetzt manchmal etwas gar abgekürzt erscheint. Aber mit dieser Kritik wären wir bereits beim nächsten Lesetipp, bei Hans Brügelmanns neuestem, ebenso lesenswertem Werk „Vermessene Schulen – standardisierte Schüler. Zu Risiken und Nebenwirkungen von PISA, Hattie, VerA und Co.“ erschienen bei Beltz (bibliografische Angaben und Zusatzmaterialien hier).

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