Abentür

Theaterproduktion von Theater Tägg en Amsle, Zürich

Nach dem Bilderbuch von Helme Heine

Besuch einer Schulvorstellung am 25. Oktober 22 in der Primarschule Erlenbach BE

von Kathrin Brülhart Corbat

Im Minutentakt treffen sie ein: mehrere Schulbusse aus verschiedenen Schulgemeinden aus dem Simmental landen auf dem Parkplatz der Primarschule in Erlenbach. «Wir haben gerade Flugzeug gespielt» ruft mir ein Kind zu und schon strömen sie erwartungsvoll Richtung Aula. 115 Kinder sind bereit: Das Abentür kann starten.

Als erstes lernen wir die drei Freunde Johnny Mauser, Franz von Hahn und das Schwein Waldemar kennen. Jeweils in ‘Grossformat’ als Schauspieler*in und in ‘Miniformat’ als Klebebandfigur. «Die kenne ich schon» raunt ein Erstklässler neben mir, «das sind die gleichen wie im Bilderbuch». Genau, es ist ein Theater nach dem Bestseller von Heine Helme. Nach dem erfolgreichen Theaterstück «Freunde» ist «Abentür»  bereits der zweite Streich vom Theater Tägg en Amsle. In beiden Stücken führte Paul Steinmann Regie.

Die drei Freunde leben auf dem Bauernhof, eigentlich ein schöner Ort, mit vielen Kühen, Fliegen, einem Hund und einigen Ameisen und doch ist es manchmal etwas langweilig, der Alltagstrott halt. Immer dieses Gegacker und die Eierleggerei der Hühner, diese blöden Mausefallen und überhaupt… es ertönt ein wunderschöner Langwiili Blues und bald ist es Zeit für eine Velofahrt in die weite Welt hinaus.

Die Welt der Abenteuer ruft und diese folgen Schlag auf Schlag: da muss eine Gans vor dem Fuchs gerettet werden, das kleine Kalb Hugo seine Mutter wieder finden, Wind und Wetter getrotzt und eine Schatzkiste am Roten Meer entdeckt werden und… und… und.

Manchmal wird es richtig brenzlig, zum Beispiel beim hungrigen Koch mit dem spitzen Metzgermesser, aber alles kommt gut. «Glück gehabt!», meint ein Mädchen neben mir. Als die drei Freunde auf dem Rücken eines Elefanten wieder nach Hause getragen werden, sind wir fast etwas erleichtert, dass nicht noch ein weiteres Abenteuer auf die Freunde wartet.

Ein Theaterstück über die Neugier auf das Unbekannte und die Kraft der Freundschaft. Mit viel Musik und Überraschungen, für alle ab 5 Jahren.

Expedition Tierreich

Hausproduktion Vorstadttheater Basel

Premierenbesuch am 21. Oktober 22 im Vorstadttheater Basel, von Kathrin Brülhart Corbat

Ein riesiger Kleiderhaufen liegt auf der Bühne, gespannt wartet das Premierenpublikum, bis es losgeht. In der Reihe vor mir sitzt eine vierte Klasse, welche beim Erarbeiten des Stückes beteiligt war.

Endlich bewegt sich was, das kauzige Forscherteam, bestehend aus Herr Dröse und Frau Rupp, schält sich aus dem Kleiderberg. Als erstes werden wir bestaunt, «das ist eindeutig eine Herde vom Typ Homo Sapiens», meint Frau Rupp und die Expedition ins Tierreich beginnt. In den nächsten 70 Minuten werden wir Teil von ihren Abenteuern. In einem grossartigen Verwandlungsspiel, mit wunderschöner Musik, vielfältigen Klängen, und verstärkten Livestimmen werden wir ins Reich der Tiere geführt und staunen mit Herr Dröse und Frau Rupp um die Wette.

Was es da nicht alles gibt: Schwangere Seepferdchen und emsige Bienen, sich begattende Frösche und vorbeigaloppierende Pferde. Wir erleben eine Geburt von zwei kleinen Pandabären und sind dabei, als eines von ihnen stirbt (das ist bei Pandabären immer so). Weiter erfahren wir, dass sich Haifischbabys im Mutterbauch bekämpfen (die haben da bereits kleine spitze Zähne) und wir sind dabei, als das Yak mit seinen Hörnern die Sterne vom Himmel pflückt.

Als Herr Dröse und Frau Rupp sich in der Tiefsee- Tauchkapsel anschnallen, raunts eine Sitzreihe vor mir: «Jetzt, jetzt kommts!», die Kinder aus der vierten Klasse wissen natürlich, was uns nun erwartet: Wir tauchen auf eine Tiefe von 10’000 Meter und sehen zuerst mal nur – schwarz… und dann… unglaublich gespenstische Wunderwesen. Alles weitere darf an dieser Stelle nicht verraten werden.

Alle Tiere werden aus dem Kleiderhaufen «geboren», sozusagen hervorgezaubert. Aus dem rosaroten Baby Body wird ein kleiner Panda, aus einer gestreiften Socke ein lustiger Fisch. Spannend auch, immer wieder wird der riesige Kleiderhaufen für mich zum Müllhaufen; «unser Müll», als eine grosse Herausforderung für alle Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier. Ohne moralisch zu sein, ist die Botschaft klar: Unser Planet ist eine Perle, mit tausenden von Schätzen, die es zu schützen gilt.

Ein Theater für alle Naturliebhaber*innen ab acht Jahren.

Zwei Faultiere retten die Welt

Theaterproduktion von Triplette, Luzern

Besuch einer Schulvorstellung am 12. September 22 im Kleintheater Luzern

von Kathrin Brülhart Corbat

Im neuen Stück von Triplette möchten zwei Faultiere und eine Eule die Welt retten. Sie leben im Regenwald, umgeben von Ameisen, Fröschen, Mäusen und Schmetterlingen, es zirpt und piiipst die ganze Zeit (live «hergestellt» von Dominic Röthlisberger). Hier lässt es sich gäbig schlafen und träumen, ein wunderbares Faultierleben eben.

Eines Tages bekommen die beiden Faultiere Post. Da sie nicht lesen können, wenden sie sich ans Publikum. Eifrig werden die Briefe aus aller Welt vorgelesen. Fazit: Es ist fünf vor 12 – wir müssen die Erde retten! Aber wie? Hmmm… wie? Am Besten nochmals etwas schlafen….

Als dann aber der Urwald verstummt und die Motorsägen immer lauter werden, wird gehandelt. Wir müssen die Erde retten! Aber wie? ….Zum Beispiel weniger Plastik brauchen, am Geburtstag weniger Geschenke wünschen, das eigene Gemüse anpflanzen und vor allem STOP sagen, laut und deutlich. Wie die Geschichte ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten.

In diesem Stück befasst sich Triplette mit der heutigen Konsum-und Wegwerfgesellschaft: Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann gibt es unsere Welt vielleicht bald nicht mehr. Aber wem gehört die Welt? Und wieviel von ihr dürfen wir nehmen? Was haben Faultiere damit zu tun?

Mit diesen und ähnlichen Fragen wandte sich die Truppe an Kinder. Mittels Spielen, philosophischen Workshops und Interviews haben sie gemeinsam mit den Kindern über die Welt der Menschen und über die Welt der Faultiere nachgedacht. Das daraus entstandene Material bildet die Basis für «Zwei Faultiere retten die Welt» und fliesst gekonnt in Form von Tonspuren und Briefen ins Theaterstück ein.

Ein wichtiges, brennendes Thema für Menschen ab 8 Jahren.

Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute

Theaterproduktion von La Grenouille, Biel

Besuch einer Schulvorstellung am 19. Mai 22 im Tojo Theater der Reitschule Bern

von Kathrin Brülhart Corbat

Am letzten Donnerstag besuchte ich eine sehr eindrückliche Inszenierung, die mich noch heute, vier Tage danach, mit starken Bildern zurücklässt: Der zitternde «Gestreifte», der den Bären füttern muss. Der Bär im Regen, schutzsuchend in seiner Höhle; das Murmeltiermädchen, das ihm die Höhle einrichtet. Der gescheitelte Junge auf der Seite der schönen Häuser, mit seinem übergrossen Gewehr. Der Junge auf der anderen Seite des Zauns, mit dem Loch im Kopf….

Aber besser der Reihe nach. Wir befinden uns in einem Zoo, einem Schwarzweissfotozoo. Hier wohnen Mama und Papa Pavian, Herr und Frau Mufflon, schwarze Schwäne, Enten und ein Murmeltiermädchen. Eines Morgens liegt das Nashorn steif und starr, mit traurigen Augen auf dem Boden. An was ist es wohl gestorben? An Heimweh? Am Wetter? Oder hat es etwa über den Zaun geschaut? Das beschäftigt die Tiere eine Zeit lang, aber schon nach einem ausgiebigen Winterschlaf ist das tote Nashorn vergessen. Es wird «ersetzt» durch einen jungen russischen Bären.

Dieser Neuling möchte vieles wissen und stellt unbequeme Fragen, er getraut sich sogar auf die andere Seite des Zauns zu schauen: Was sind das für spindeldürre Zebrawesen auf der anderen Seite? Warum stinkt es hier so komisch? Und warum gibt es keine Vögel? Die Fragerei passt Papa Pavian und den anderen Zoobewohnern überhaupt nicht, der Bär solle sich da raushalten, sonst bringe er sich und die anderen in Gefahr. Doch das tut er nicht, der mutige Bär fasst einen folgeschweren Plan…

Es hat ihn tatsächlich gegeben, einen Zoo neben dem Konzentrationslager Buchenwald, zum Amüsement der Bevölkerung und der Familien der Aufseher. Jens Raschke hat aus dieser Tatsache einen der bedeutendsten, mehrfach preisgekrönten Theatertext für junges Publikum geschrieben. Das Theater La Grenouille inszeniert diesen mit den Mitteln des Erzähltheaters und vielen Figurenwechseln. Auf feinfühlige Art werden wir durch die Geschichte geführt, im Kopfkino eines jeden geht genau das ab, was man «verträgt». Das Wort Konzentrationslager fällt im ganzen Stück nie. Genauso wenig wie die Nazis, beim Namen genannt werden.

Ein eindrückliches Theaterstück über kollektives Wegsehen und ein starkes Plädoyer für Zivilcourage für alle ab 9 Jahren.

«Es ist die Frage, ob Kinder über dieses erschütternde Kapitel des Menschseins informiert werden sollten, ob sie etwas davon wissen sollten. Für uns ist dies klar: Ja, denn den Kindern wird die Welt, so wie sie heute ist, sowieso zugemutet, und dies meist ungefiltert über die Medien. Umso wichtiger ist es, mit Theater und seinen Geschichten Momente zu haben, wo Erlebtes und menschliches Verhalten reflektiert und geschärft werden kann. Und damals wie heute sind es ja auch immer wieder Kinder, die Opfer von Unmenschlichkeit werden, oder zu Mitläufern oder Tätern erzogen werden. Letztlich stellt sich die Frage, was wir Kindern zumuten wollen, das Totschweigen einer schlimmen Wirklichkeit oder die Aufklärung darüber.»
Jens Raschke über sein Stück.

Bruno schneit

Eine Geschichte aus dem Kleiderschrank von Jörg Bohn und Paul Steinmann

Premierenbesuch am 26. Februar 22 im Kino Odeon Brugg von Kathrin Brülhart Corbat

Am letzten Samstag war ich endlich wieder mal an einer Premiere, Jörg Bohn spielte seine sechste «Bruno-Geschichte» mit dem Titel «Bruno schneit». Nach «Bruno Hasenkind» und «Bruno und das Hasenvelo» ist dies die dritte Geschichte, in der das Hasenkind Fritz vorkommt.

Dass Fritz bei Bruno wohnt, erfahren wir schon früh im Stück und diesmal kommt Fritz mit Gepolter von der Schule heim und Bruno findet ihn hässig in seinem Bett. Fritz muss als Hausaufgabe ein Erlebnis über ein Winter-Abenteuer schreiben, aber Fritz hat noch nie Schnee gesehen und braucht unbedingt Brunos Hilfe. Wie soll man bitteschön über Schneeflocken schreiben oder welche zeichnen, wenn man noch nie einen Schee-Winter erlebt hat? Was ist überhaupt Schnee? Sowas wie Puderzucker auf Omeletten oder… Bruno ist gefordert, zum Glück hat er selber schon viele Schnee Abenteuer erlebt, im Nu wird Brunos Schrank umgebaut und es entsteht eine wunderschöne Bettdecken-Schneelandschaft. Bruno zeigt Fritz wie man Schee-Engel machen kann (übrigens darf man sich nach einem gelungenen Schee-Engel immer etwas wünschen; Hase Fritz macht deshalb gleich zwei… Und was hat er sich gewünscht? Das wird natürlich nicht verraten)

Weiter geht’s mit Versteckis im Schnee und einer mutigen Schlittenfahrt und wir lernen eine Scheemannfrauen-Familie kennen. Es beginnt zu schneien und wird auch richtig kalt.

Brunos Schrank-Requisit ist vielseitig auszieh- und nutzbar, immer wieder sind wir am Staunen, Bruno der Geschichtenerzähler ist auch etwas ein Zauberer: wie hat er das denn jetzt gemacht, dass sich der Hase hinten im Kissen verstecken konnte?

Als Fritz am Abend in seinem Bett liegt, sind wir alle glücklich, dass wir wieder mal einen richtig schneereichen Wintertag erlebt haben.

Eine weitere Bruno – Geschichte für alle ab vier Jahren mit vielen Winterüberraschungen und herzerwärmenden Details.

YARK

Mangisch Produktion, Brig

Besucht von Kathrin Brülhart Corbat am 19. Februar 22 im FigurenTheater St.Gallen,

im Rahmen des Theaterfestivals jungspund  

Der Morgen in der «Lokremise», dem Festivalzentrum von jungspund war sehr abwechslungsreich: zehn Schweizer Gruppen und Einzelkünstler*innen hatten die Gelegenheit, mit einem Kurzauftritt von 10 Minuten ihre neuesten Produktionen zu präsentieren. Toll, was da alles am Entstehen ist, oder bereits geboren wurde – ein Hoch auf das professionelle Theaterschaffen für ein junges Publikum!

Nach diesen 10 Einblicken freue ich mich, ein Stück in voller Länge zu sehen. Mein Ziel ist das FigurenTheater St.Gallen, «Yark» gespielt von Daniel Magisch steht auf dem Programm. Ich spaziere durch die Altstadt und finde schon bald das kleine Theaterhaus. Hier war ich noch nie… ein richtiges Juwel mit roten Stühlen, die die kleineren Zuschauer*innen selbständig «einstellen» können. «Stört es sie, wenn ich den Stuhl ganz in die Höhe schraube?» werde ich von einem Jungen gefragt, der vor mir in der vordersten (!) Reihe sitzt. Natürlich nicht – gespannt warten wir, bis es los geht. Da bewegt sich schon das Monster unter dem weissen Tuch: Yark ist da – poh, was für eine gruselige Stimmung macht sich breit, Yark hat Hunger, er frisst am liebsten Kinder, aber nur ganz brave, von den unartigen wird ihm schlecht, er hat einen sehr heiklen Magen. Gibt es hier vielleicht nette, hilfsbereite Kinder im Raum? Vor mir wird der Stuhl wieder runtergefahren….

Zugegeben, zu Beginn ist das Stück eine echte Herausforderung für viele und nicht’s für Angsthasen, zum Glück erscheint immer wieder Daniel als Schauspieler, da gibt es kleine Verschnaufpausen und man muss nicht mehr um sein Leben fürchten.

Auf der Suche nach feinem Essen fliegt Yark in den hohen Norden zum Samichlaus,

dem er die Liste mit den allerliebsten Kindern der Welt abluchst. Diese Liste mit den Top Ten der Allerbravsten wird nun abgearbeitet. Doch diese Kinder sind viel zu schlau, als dass Yark ihnen etwas antun kann. Es folgen schlimme Wörter und eine grobe Magenverstimmung. Zum Glück wird Yark von Madeleine gefunden, die ihn mit Alpenkräutern wieder fit macht. Eine Freundschaft beginnt. Wie wunderbar, Madeleine fürchtet sich überhaupt nicht vor Yark, warum auch? Noch nie hatte Yark eine Freundin, sogar eine, die ihm das Fell kämmt.

Wäre da nur nicht dieser riesengrosse Hunger, aber Yark will doch nicht seine neue Freundin fressen, ojeminee… wie das wohl ausgeht?

Hier soll nicht zu viel verraten werden, nur so viel: es kommt gut und am Schluss kann man auch ganz getrost den Theaterraum wieder verlassen, im Wissen, dass einen der Yark nicht fressen kommt, auch wenn man nett ist. Im Gegenteil, er wird einem sogar helfen kommen, falls man mal ganz schlecht träumt.

Daniel Mangisch will spassvoll gruseln und zeigen, dass manche Dinge nur in unseren Köpfen leben. Sein packendes Erzähl- und Objekttheater lässt die Monsterwelt auferstehen und haucht Puppen und Objekten Leben ein.


Ein tolles Stück für alle ab 7 Jahren, die es lieben, mal wieder etwas Hühnerhaut zu bekommen.

Ich heisse Name

Theater Jungfrau und Co. / Theater Blau, in Koproduktion mit Schlachthaus Theater Bern

Besuch einer Schulvorstellung am 31. Januar 22 im Treffpunkt Wittigkofen, Bern von Kathrin Brülhart Corbat

Warum hat es hier nur so wenig Kinder? Leider darf heute wegen den Covidmassnahmen nur eine Klasse ins Theater kommen, wie schade… dann sind wir, die hier sein dürfen, ja richtige Glückspilze! Ein Mädchen aus der Basisstufe Bern Bethlehem erklärt mir, sie hätten mit der Schauspielerin Brigitta und mit dem Schauspieler Julius im Vorfeld eben recherchiert, deshalb dürfen sie jetzt kommen.

Gespannt sitzen wir vor einer leeren Bühne, ausser zwei fahrbaren Leinwänden, ist noch nichts zu sehen. «Wo sind Brigitta und Julius?» – Warts ab !

Musik… zwei Hellraumprojektoren werden auf die Bühne gefahren, geschoben von einer weiss gekleideten Frau (Brigitta Weber) und einem weiss gekleideten Mann (Julius Griesenberg). Zu Beginn spielen sie mit ihren Schattenbildern, das ist lustig, die Kinder kichern, am liebsten möchte man es selbst ausprobieren.

Nun wird auf die Projektionsfläche gezeichnet… ein Kopf, Augen, Arme…. es ist mucksmäuschenstill, alle schauen gespannt zu, wie ein Strichmännchen entsteht oder ist es ein Strichweibchen? «Egal!» «Was egal?» «Wie heisst Du?» – «Ich heisse NAME».

Was isst eigentlich so ein Strichfigürchen? Natürlich Spaghetti Carbonara.

NAME möchte mit seinem Krokodil in der Badewanne spielen und danach die Welt entdecken; sich mit Herrn Sonntag, dem lustigen Hund treffen und auf dem Spielplatz mit den anderen Kindern spielen – sag, geht das überhaupt, wenn man nicht weiss, ob NAME ein Mädchen ist oder ein Junge? Welche Kleider soll NAME tragen? Hosen oder vielleicht einen Rock? Mit was möchte NAME spielen? Mag NAME rosarot oder grün? Holz hacken oder nähen?

Die beiden Erwachsenen begleiten NAME auf seiner Erkundungstour, sie schlüpfen in zig verschiedene Rollen, es wird geschnipselt und gezeichnet, vergrössert und verkleinert, mit Schatten und farbigen Folien gespielt. Immer wieder entstehen neue Welten und neue Fragen: «Wenn ich gross bin, werde ich dann eine Frau oder ein Mann?»

Ein tolles, wichtiges Stück zur eigenen Identität und zur Genderthematik, für alle ab 5 Jahren.

Modell 21


Eine Möglichkeit, Theater mit anderen Augen zu sehen.

Von Kathrin Brülhart, Verantwortliche für die Gastspielreihen des ZTP PH Luzern.

Am 1. Dezember trafen sich die Perlen Veranstalter*innen aus Sarnen, Willisau und Hochdorf zu einem gemeinsamen Workshop mit mir, um das neue «Modell 21» kennenzulernen.

Das «Modell 21» wurde im Verlaufe des Jahres 2021 von Ursula Ulrich und mir ausgehend von älteren Visionierungs-Kriterienkatalogen weiterentwickelt und beinhaltet Merkmale, welche aus unserer Sicht mögliche Qualitätskriterien für professionelle Theaterstücke thematisieren.

Zudem kann es für alle Perlen Veranstalter*innen eine Auswahlhilfe beim Aussuchen der Stücke sein.

Was ist uns wichtig? Was macht eine Perle im professionellen Kinder- und Jugendtheater aus?

Theater ist mehr als gefallen und drauskommen!

Wichtige Fragen für uns alle waren: berührt mich die Inszenierung? Ermöglicht sie sinnliche Erfahrungen, regt es Gefühle und Empfindungen in mir an? Oder anders gefragt, macht das Stück etwas mit mir, hinterlässt es Spuren?

Während des gemeinsamen Workshops entstanden als Ausganslage für die Qualitätsdiskussion verschiedene Skulpturen zu Stücken, welche wir kürzlich gesehen hatten und die etwas mit uns gemacht haben.

Erstes Fazit:

Wir wünschen uns, dass wir verzaubert werden, ins Stück eintauchen können, die Fantasie angeregt wird. Interessant wird es dann, wenn ein Stück spannende und anregende Fragen auslöst.

Es soll die Spiel-Lust wecken, darin waren wir uns auch einig.

Nach einer angeregten Diskussion fanden wir heraus, was uns auch noch am Herzen liegt:

Eröffnet mir die Inszenierung neue Sichtweisen? Verändert sie etwas? Perspektivenwechsel?

Ermutigt die Inszenierung, im Leben selbst etwas bewirken zu können?

UND natürlich soll eine Perle künstlerisch ausdrucksstark sein, Figuren können sich entwickeln, das Bühnenbild soll Raum geben für eigene Bilder (um nur zwei Punkte der sechs Punkte zu erwähnen, welche das «Modell 21» beinhaltet 🙂

Wir freuen uns alle auf viele neue, Mut machende Stücke.

Falls du dich für das «Modell 21» interessierst, melde dich – wir schicken es dir gerne zu!

Wolf – Loup (von Theo Fransz)

Theaterproduktion von La Grenouille, Biel

Besucht von Kathrin Brülhart Corbat am 12. November im Tojo Theater Reitschule Bern

Vor einer Woche habe ich diese eindrückliche Theaterproduktion gesehen, sehr gerne erinnere ich mich daran: das Stück spielt in einem offenen Spielraum, wir sitzen auf vier Seiten, wie auf einem Dorfplatz. Noch bevor es anfängt, sehe ich, dass es Livemusik gibt: Gitarre, Keyboard und Mik stehen bereit. Auf der Bühne liegt ein grosses Tuch mit roten Flecken und einige überdimensionale Grablichter.

Es fängt an, Musik… ein leidenschaftlicher Tanz zweier Verliebten. Virginie und Mas.

Ein Messer, Hände werden im Wasser gewaschen, das Wasser färbt sich rot, «pas de panic», sie liegen gleich neben mir, «habe ich geschlafen, habe ich etwas verpasst?».

Virginie ist eine junge Frau, die nach der Tradition ihrer Grossmutter Sand auf die Gräber streut. Im Dorf glaubt man, dass dies die Lebenden vor dem Tod schützt. Auf diesem Friedhof lernt Virginie Mas kennen. Mas war früher ein Wolf. Als Welpe musste er mitansehen, wie seine ganze Familie von Jägern aus dem Dorf getötet wurde. Die Götter haben ihn in einen Menschen verwandelt mit dem Auftrag, seine Familie zu rächen, Mas soll alle Mitglieder der Jägerfamilie ausrotten… Und dann erfährt Mas, dass Virginie, in die er sich unsterblich verliebt hat, die Tochter des letzten Jägers ist. Was nun? Ist die Liebe der beiden stark genug, um das Schicksal selbst in die Hände zu nehmen – oder bringt er sie nun um? Er muss! Es ist so vorbestimmt. Muss er?

Immer wieder werden wir direkt angesprochen von Mas und Virginie, durch die Nähe zum Geschehen wird es intim und spannend. Der Konflikt, dass Mas Virginie ja nun eigentlich umbringen muss, um seinen «Auftrag» zu erfüllen, wird in einem genialen Spannungsbogen erzählt. Oft wissen wir mehr als Virginie, wie in einem Krimi… Mit der Live-Musik wird die Erzählung mit treibenden Rhythmen, rauhem Groove und dann wieder mit feinen Gitarrenklängen untermalt. Wir sind mittendrinn, es wird geschwitzt, getanzt, geliebt, verstossen und wieder gefunden.

Faszinierend an diesem Stück ist auch die Sprache. Beide Spielenden sprechen französisch und deutsch. Es gibt zwei Inszenierungen in je einer klaren «Hauptsprache», hier war es Deutsch. Auch mit wenig Französischkenntnissen versteht man alles. Da das Gesagte durch die Emotion «entschlüsselt» oder vom anderen Spielenden aufgenommen und übersetzt wird.

Eine berührende Geschichte für alle ab 13 Jahren über Gewalt und Verfolgung, Schicksal und Vorbestimmung.

Rosa – Die Lebensgeschichte einer mutigen Frau, gespielt vom Theater Sgaramusch

Besucht von Kathrin Brülhart Corbat am 10. November im Theater Stadelhofen

Wie erzählt man diese dichte Biografie von Rosa Luxemburg? Was wird ausgewählt? Auf der Bühne steht ein Ständer, an diesem hängen diverse Handpuppen. Gespannt sitze ich im Publikum der Nachmittagsvorstellung und warte bis es dunkel wird.

Das bittere Ende gleich vorweg: In den ersten Spielminuten erfahren wir, dass Rosa erschossen wurde, weil sie ihre Meinung sagte. Ein kleines T-Shirt mit der Aufschrift ROSA wird in einen Kübel mit Wasser geschmissen. Rosa Luxemburgs Leiche wurde 1919 in einen Kanal in Berlin geworfen. Ehrlicher, harter Anfang, denke ich.

Mit einfachen Mitteln wird der geschichtliche Hintergrund erklärt. Wir erfahren, dass zu Rosas Lebzeiten drei Kaiser auf dem heutigem Gebiet von Polen regiert haben. Und dass sich der Kaiser den Bauch füllte, während Frauen, Männer, Alte und Kinder bis zum Umfallen in der Fabrik schuften mussten.

Rosa sagte schon als Kind, was sie denkt, laut und deutlich.

Sie ist klein und hinkt, weil man ihr das falsche Bein eingegipst hat. Ein ganzes Jahr lang musste sie im Bett bleiben, in dieser Zeit hat sie viel gelesen. Als sie wieder zur Schule geht, hat sie viele Fragen: Warum müssen einige Kinder in der Fabrik arbeiten? Warum dürfen wir nicht Polnisch sprechen, obwohl wir in Polen leben? Der Lehrer schreit sie an: Fragen sind nicht erlaubt- Schweig! Doch Rosa gibt nicht auf.

Später studiert sie in Zürich und verliebt sich im Uni-Garten in Leo. Die Katze Mimi ist der Hammer – warum ? wird an dieser Stelle nicht verraten. Wir erfahren, dass Rosa sehr gerne badet, sehen eine wunderschöne Szene in der Badewanne… sind dabei, als sie ihre wichtigen Texte und Reden schreibt: «Sie können unsere Hände fesseln, aber nicht unsere Gedanken.»

«Was findet ihr ungerecht?», fragt die Schauspielerin im Stück das Publikum. «Es ist ungerecht, dass man keine Pause machen darf und eingesperrt wird», «Alles in diesem Stück ist ungerecht», «Kannst Du das noch etwas genauer sagen, wo genau findest Du es ungerecht?»

Ein tolles, brandaktuelles Theater mit einer klaren Botschaft: Wenn man etwas ungerecht findet, dann sollte man es auch sagen! Getraut euch – mischt euch ein!

Wie sähe die Welt wohl aus, wenn wir alle ein grosses Stück Rosa in uns hätten?