Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar

Siebert’s Aussage „Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar“ (2009, S. 35) pointiert das Lernen Erwachsener. Erwachsene unterscheiden sich beim Lernen insbesondere dadurch von Kindern und Jugendlichen, dass sie ein gefestigteres Selbst haben, je älter sie werden, dass sie einen immer grösser werdenden Erfahrungsschatz besitzen, dass sie sich bestimmte Handlungspraktiken angeeignet haben, dass sie über viele Erfahrungen verfügen und dass ihre persönliche und berufliche Identität stabil(er) und gefestigt(er) ist. Beim Gestalten von Lernarrangements von Erwachsenen sind insbesondere deren Erfahrungen, Interesseen und Deutungsmuster einzubeziehen.

Das Lernen als solches unterscheidet sich bei Erwachsenen nur graduell vom Lernen von Kindern oder Jugendlichen, wohl aber sind die Erwartungen an organisierte Lehr-/Lernsituationen unterschiedlich. Erwachsene erwarten, dass ihre Erfahrungen einbezogen werden und ihr Interesse berücksichtig wird. Das trifft insbesondere auf den betrieblichen Weiterbildungskontext zu. Wird dies seitens der Kursleitung versäumt, ist mit aktivem oder passivem Widerstand zu rechnen. Bei der Weiterbildung Erwachsener – der nicht formalen Bildung – basiert die Legitimation zum Unterricht oder zu Kursen nicht wie bei der formalen Bildung auf einer staatlichen Institution mit der Möglichkeit zu Pflicht und Zwang, sondern auf Akzeptanz. Besonders wichtig: Bei Erwachsenen muss jeglicher Erziehungsanspruch fallengelassen werden. Der erwachsenendidaktische Anspruch ist oftmals eine Herausforderung für Lehrpersonen, welche in die Erwachsenenbildung wechseln.  Ein Adaptieren der bisherigen Deutungsmunter ist erforderlich. Im Weiterbildungsmaster A&PE der PH Luzern wird dies unterstützt mit entsprechender Wissensaneignung, Diskussionen unter den Peers, Feedback zum Auftreten in Übungssequenzen, Reflexionen in Intervisionsgruppen und in der begleiteten Praxis.

 

Welche Faktoren beeinflussen das Lernen Erwachsener und was heisst dies für das Gestalten der Lehr-/Lernarrangements?

Erfahrungen einbeziehen

Erwachsene gehen von ihren Erfahrungen aus, ordnen alles Neue in die bestehende kognitive und subjektive Wahrnehmung ein. Das Lernen Erwachsener ist in besonderer Weise ein Anschlusslernen. Erwachsene verfügen über Kulturtechniken sowie über grosses Wissen zum privaten und beruflichen Kontext, zu sich selbst, zum gesellschaftlichen Umfeld. Erwachsene meistern ihr Leben selbst, sind selbstbewusst und kompetent. Die Offenheit für Lernen im Erwachsenenalter hängt von Bildungserfahrungen ab. Je umfangreicher die Erfahrungen und der Bildungshintergrund, desto breiter gefächert sind die Anschlussmöglichkeiten.

Anregung für die Kursgestaltung: Die Kenntnisse, Erfahrungen, Ressourcen von Erwachsenen müssen beim Gestalten der Lernarrangements explizit einbezogen werden. Es soll die Möglichkeit bestehen, die eigene Erfahrung einzubringen, Wahrnehmungen zu äussern, Informationen zu bisherigem Wissen und Erfahrungen in Beziehung zu setzen, das Neue in Erfahrungs-, Erinnerungs- und Sinnzusammenhänge einzuordnen. Die Lern- und Auseinandersetzungsthemen müssen an individuellen Erfahrungen und an vorhandenen Ressourcen anknüpfbar sein.

 

Interesse berücksichtigen

Erwachsene lernen interessengeleitet. Der Lerngegenstand sollte sich mit den persönlichen Interessen und beruflichen Notwendigkeiten verbinden lassen. Er soll individuell bedeutsam, sinnvoll, anwendbar und damit nützlich und verwertbar sein. Er muss im Sinnzusammenhang mit der persönlichen oder beruflichen Lebenswelt stehen. Der individuelle emotionale Bezug zum Thema hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Lernmotivation.

Anregung für die Kursgestaltung: Die Interessen Erwachsener bei der Auswahl der Lernthemen möglichst zu berücksichtigen versuchen. Bei der Gestaltung der Lehr-/Lernsettings auf Transferier- und Anwendbarkeit achten. Die Lernthemen mit der individuellen Bedeutungszumessung in Verbindung bringen lassen.

 

Deutungsmuster verändern

Das Lernen Erwachsener findet in einem gefestigten,  individuell angeeigneten und gesellschaftlich gebundenen Deutungsmuster statt. Dieses bildet den Rahmen, in den das zu Lernende integriert wird. Das Umlernen Erwachsener beinhaltet ein Umstrukturieren dieser Deutungsmuster. Auch verändern sich Auffassungs-, Erwartungs- und Verhaltensdispositionen. Der Zweck ist ein angemessenes Bewältigen von Situationsanforderungen. Erwachsene haben eine eigene, gewachsene und emotional verknüpfte Meinung und Interpretation der Wirklichkeit. Sie verfügen über eine gefestigte persönliche und berufliche Identität. Lernen ist ein umso widerständigerer Prozess, je tiefer dieser in die stabilisierten Deutungsmuster, in die angeeignete Identität greift.

Anregung für die Kursgestaltung: Die Gestaltung der Lernveranstaltungen ist von Vorteil konstruktivistisch ausgerichtet. In der Regel geht es beim Lernen Erwachsener nicht um eine „Richtig-Falsch“-Orientierung, sondern um das Lösen einer Problemlage, dem Finden eines passenden Weges (Viabilität). Das erfordert ein Lernarrangement, in dem nicht „belehrt“, sondern eine Mehrperspektivität und eine Neuinterpretation der Situation ermöglicht wird.

Donatus Berlinger, Leiter Abteilung Erwachsenenbildung, PH Luzern

 

Literatur

  • Siebert, H. (2009). Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. 6. überarbeitete Auflage. Augsburg: Ziel.

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