Sind Basisausbildungen die neuen Berufsfachschulen?

Das schweizerische Berufsbildungssystem hat eine lange und erfolgreiche Tradition. Durch eine qualitativ hochwertige Ausbildung versorgt es die Wirtschaft seit vielen Jahrzehnten mit Nachwuchskräften. Spätestens seit dem Inkrafttreten des neuen Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004 ist die berufliche Grundbildung von drei Lernorten geprägt. Neben den Betrieben und Berufsfachschulen wurden die sogenannten Einführungskurse, die sich in handwerklichen Berufen längst bewährt haben, als überbetriebliche Kurse für alle beruflichen Grundausbildungen gesetzlich verpflichtend eingeführt. Ganz im Sinne der ehemaligen Einführungskurse sind heute in manchen Berufen Basisausbildungen üblich. In diesen Ausbildungen können die Lernenden ihre Grundkenntnisse innerhalb von ein bis zwei Jahren in einem geschützten Rahmen entwickeln. Viel Zeit also, um die vom Arbeitsmarkt geforderten beruflichen Grundlagen aufzubauen und damit die Daseinsberechtigung des berufskundlichen Unterrichts in Frage zu stellen.

Berufskundlicher Unterricht unter Druck?

Aufgabe der Berufsfachschulen ist es, die theoretischen Grundlagen zur Berufsausübung sowie Allgemeinbildung zu vermitteln (Art. 21, BBG, 2002). In den meisten beruflichen Grundausbildungen der Schweiz ist der Berufsfachschulunterricht deshalb in einen berufskundlichen und einen allgemeinbildenden Teil gegliedert. Während im öffentlichen Diskurs häufig über die Notwendigkeit des allgemeinbildenden Unterrichts gestritten wird, bleibt der berufskundliche Unterricht vielfach unangetastet. Gleichzeitig beklagen gerade die innovativeren Betriebe immer mehr, dass die Berufsfachschulen mit der grossen Dynamik des Arbeitsmarktes nicht Schritt halten und Inhalte vermitteln, die in der Wirtschaft nicht mehr gefragt werden. So bringt ein Berufsbildungsverantwortlicher eines Schweizer Grossunternehmens auf den Punkt, was in mehreren Interviews zum Ausdruck kam: «Wir sehen die Schule als notwendiges Übel, weil die Lerninhalte längst nicht mehr aktuell sind». Betriebe verlieren deshalb auch immer mehr die Bereitschaft, ihre Lernenden bis zu zwei Tage die Woche in die Berufsfachschule zu schicken und erhöhen damit den Druck auf die Schulen. In Zeiten des allgemeinen Kostendrucks vieler Kantone und den damit einhergehenden Ressourceneinsparungen, fehlt vielen Berufsfachschulen ein wirkungsvoller Weg, um der Dynamik des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.

Basisausbildungen als Alternative?

Anders sieht die Situation bei den Basisausbildungen aus, deren Auftrag in Kombination mit den überbetrieblichen Kursen (üK) die Vermittlung von grundlegenden Fertigkeiten in einem Beruf ist. Sie werden nicht nur durch die öffentliche Hand, sondern vor allem durch die Betriebe und Organisationen der Arbeitswelt (OdA) finanziert. Es ist selbstsprechend, dass die Ausbildungsbetriebe und OdA ein grosses Interesse haben, ihren Nachwuchskräften eine qualitativ hochwertige Einführung und Ausbildung zu ermöglichen. So bewegt sich die Klassengrösse in diesen Ausbildungen häufig bei rund der Hälfte der Lernenden im Vergleich zu jenen des berufskundlichen Unterrichts. Viele der Coaches sind nur im Nebenamt in der Ausbildung tätig und arbeiten weiterhin in der Praxis. Zudem haben sie eher Ressourcen, um einen engen Austausch mit den Lehrbetrieben zu pflegen. Dadurch bleiben sie auf dem neusten Stand der Entwicklungen und können den Lernenden einen direkten Praxisbezug ermöglichen. Sie geniessen deshalb sowohl bei den Lernenden, als auch bei den Betrieben oft eine hohe Glaubwürdigkeit. So macht eine Berufsbildungsverantwortliche folgende Aussage: «Wir können unseren Lernenden ein Projekt mit in die Basisausbildung geben. Dort erhalten sie sowohl Zeit als auch die fachliche Unterstützung für die entsprechende Umsetzung. Sowohl Coach als auch Lernende stehen mit uns eng in Kontakt, damit das Projekt zum Erfolg wird».

Spannungsfeld am Beispiel der Informatikausbildung

Das Spannungsfeld zwischen der grossen Dynamik des Arbeitsmarkts und dem anscheinend trägeren System der Berufsfachschulen zeigt sich exemplarisch im Informatikbereich, wo neue Tools, Softwares und Programmiersprachen wie „Pilze aus dem Boden schiessen“. Im Zeitalter des «World Wide Web» lassen sich die aktuellsten Informationen zu neuen Produkten und Systemen in Foren, häufig sogar in kostenlosen Tutorials finden. Die theoretischen Grundlagen zur Berufsausübung könnten aus Sicht mancher Betriebe somit auch von den Lernenden selbst erarbeitet werden. Viele Betriebe denken folglich immer lauter über mögliche Alternativen zum berufskundlichen Unterricht nach. «Wir führen firmeninterne Wissensplattformen, wo Grundlagen selber erarbeitet werden können. Bei Verständnisfragen aller Art können Experten über Chats um Hilfe gefragt werden». Eine dieser Alternativen könnte also in der Stärkung der anderen beiden Lernorte liegen. In den Basisausbildungen erlangen die Lernenden wie bis anhin die grundlegenden Fertigkeiten zur Berufsausübung. Dazu gehört auch der Aufbau von Methoden- und Selbstkompetenzen, damit die Lernenden befähigt sind, möglichst schnell selbständig an Informationen zu kommen. Die oftmals relativ kleine Gruppengrösse ermöglicht in Kombination mit digitalen Lernmedien und Plattformen eine individuelle Unterstützung der Lernenden. Die Nähe der Basisausbildungen zu den Betrieben und OdA trägt das Übrige für eine gelingende Ausbildung bei. Durch diese Praxisnähe können Projekte bearbeitet werden, die reale Problemstellungen widerspiegeln oder sogar zum praktischen Einsatz kommen. Die dadurch erarbeiteten Handlungskompetenzen weisen hinsichtlich der zu erlangenden Arbeitsmarktfähigkeit eine hohe Relevanz auf.

Potential der Berufsfachschulen

Viele Berufsfachschulen haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen neue Wege zu gehen. Gerade im Informatikbereich entsteht unter dem Aspekt „Flexibilisierung der Bildungsangebote“ auf Grundlage der Strategie «Berufsbildung 2030» ein Pilotprojekt, das durch eine stärkere Modularisierung schnellere Anpassungen der Lerninhalte an die Praxis gewährleisten will. Dabei bedeutet gerade auch die Digitalisierung eine grosse Chance. Mit dem Blended-Learning Ansatz können sich die Schulen auf ihre Stärken und auf das Wesentliche konzentrieren. Sie können das Lernen vielfältiger gestalten und individueller begleiten. Dank digitaler Medien ist es einfacher denn je, Situationen aus dem Arbeitsalltag der Lernenden in die Schule zu holen, mit theoretischem Grundlagenwissen zu verknüpfen und so Unterricht zu betreiben, der eine hohe Aktualität aufweist. Die Lehrpersonen müssen dafür akzeptieren, dass sie fachlich nicht alles wissen können. Neben Fachpersonen sind sie vor allem Didaktiker/innen, die den Lernenden als Coach beratend zur Seite stehen und für ein optimales Lernklima sorgen sollen. Ganz in diesem Sinne ergänzt die PH Luzern in ihren Diplomstudiengängen für üK-Leitende im Nebenberuf und Berufsfachschullehrpersonen die bestehenden Fachkompetenzen mit didaktischen und berufspädagogischen Schwerpunkten.

Fazit

Werden Basisausbildungen von Seite der Betriebe gelobt, hat das mehrere Gründe. Oft findet untereinander eine enge Zusammenarbeit statt. Diese fördert nicht nur das gegenseitige Verständnis, sondern ermöglicht auch eine flexible Abstimmung der Lerninhalte. Die häufig relativ kleinen Klassengrössen in Basisausbildungen ermöglichen zudem die Umsetzung von komplexen Projekten, was die Professionalitätsentwicklung der Lernenden begünstigt. Im Vergleich zum berufskundlichen Unterricht geniessen die Basisausbildungen jedoch auch grössere Freiheiten, wenn es um die inhaltliche Planung und Durchführung von Lernsequenzen geht. Sie können deshalb den Anforderungen der Betriebe einfacher gerecht werden. Nichts desto trotz müssen die Berufsfachschulen die Kritik bezüglich den teils veralteten Lerninhalten ernst nehmen und neue Wege gehen, um die Innovationen des Arbeitsmarkts mit neusten Erkenntnissen aus den jeweiligen Fachgebieten zu verbinden und in den Unterricht zu integrieren.

Grundsätzlich hat sich die Dreiteilung der Lernorte der beruflichen Grundbildung bewährt. In gewissen Berufen ist die Zufriedenheit höher als in anderen, was häufig auf das Engagement einzelner Personen zurückzuführen ist. Eine funktionierende Lernortkooperation spielt eine gewichtige Rolle für die wahrgenommene Zufriedenheit der betroffenen Akteure. Widmet sich diese Kooperation nicht nur den Problemfällen, sondern vor allem auch den inhaltlichen Absprachen, profitiert die Qualität der Berufsbildung als Ganzes. Da Basisausbildungen hohe Kosten verursachen, können sie nicht von allen Betrieben und Verbänden getragen werden. Alleine dieser Aspekt macht deutlich, dass Basisausbildungen den berufskundlichen Unterricht nicht gänzlich ersetzen können. Die Dynamik im Arbeitsmarkt wird in Zeiten der Digitalisierung aber weiter zunehmen. Der Druck auf die Berufsfachschulen dürfte deshalb auch in Zukunft nicht abklingen. Die Schulen sind also gut beraten, wenn sie für neue Ansätze und Methoden offen sind, um mit den Entwicklungen des Arbeitsmarktes Schritt halten zu können.

www.phlu.ch/weiterbildung

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