Strukturwandel in der Berufsbildung?

Wir kennen alle die Phänomene, die mit einem Strukturwandel verbunden sind. Die lang bewährten und erfolgreichen Strukturen (und Organisationen) erodieren und neue Strukturen (und Organisationen) entstehen. Die einst Erfolgreichen verschwinden und die Neuen, die sich nicht auf die alten Strukturen verlassen, blühen auf. Ein Blick nach Deutschland hat bei mir die Frage aufgeworfen, ob sich die Berufsbildung in einem solchen Strukturwandel befindet und ob die Initiative Berufsbildung 2030 diesen Strukturwandel vorwegnimmt, forciert oder zu bremsen versucht?

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Wie integrativ ist die Berufsbildung?

Mit der zweijährigen Grundbildung und einer fachkundigen individuellen Begleitung (FiB), für deren professionelle Umsetzung sich immer mehr engagierte Berufsfachschullehrpersonen weiterbilden, sind positive Zeichen für die integrativen Bestrebungen der Berufsbildung gesetzt. Auch die vielfältigen Angebote an Förder- und Stützkuren nebst dem regulären Unterricht an den Berufsfachschulen verdeutlichen diese Bestrebungen klar. Doch welche Effekte erzielen diese Massnahmen für die betroffenen Lernenden und wie integrativ ist die Berufsbildung tatsächlich? Diesen Fragen geht die PH Luzern in ihren Forschungsprojekten nach.

 

Die Schweiz ist durch die 2014 ratifizierte UN- Behindertenkonvention verpflichtet dafür zu sorgen, das Recht der Menschen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen und durch die Gewährleistung eines integrativen Bildungssystems auf allen Ebenen sicherzustellen (Art. 24 Abs. 1 und 5). Denn Menschen mit Behinderungen (geistig, körperlich, psychisch) können in der Bildung eine Benachteiligung erfahren, wenn ihren besonderen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen wird. Es besteht dann beispielsweise die Gefahr, dass sie in weniger anspruchsvolle Ausbildungen abgedrängt werden, die ihrem intellektuellen Potenzial nicht entsprechen und so ihre besonderen Bedürfnisse die Entwicklung ihrer individuellen Stärken einschränken bzw. verhindern. Das Gesetz spricht sich klar gegen jede Form von Diskriminierung aus und fordert explizit Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligung von Lernenden mit Behinderung beim Lernen und bei Qualifikationsverfahren in der beruflichen Grundbildung und in der höheren Berufsbildung (Bundesverfassung Art. 8 Abs. 2; BehiG Art. 2 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1, 2; UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 27; BBG Art. 3, 18, 21; BBV Art. 35).

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Sind Basisausbildungen die neuen Berufsfachschulen?

Das schweizerische Berufsbildungssystem hat eine lange und erfolgreiche Tradition. Durch eine qualitativ hochwertige Ausbildung versorgt es die Wirtschaft seit vielen Jahrzehnten mit Nachwuchskräften. Spätestens seit dem Inkrafttreten des neuen Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004 ist die berufliche Grundbildung von drei Lernorten geprägt. Neben den Betrieben und Berufsfachschulen wurden die sogenannten Einführungskurse, die sich in handwerklichen Berufen längst bewährt haben, als überbetriebliche Kurse für alle beruflichen Grundausbildungen gesetzlich verpflichtend eingeführt. Ganz im Sinne der ehemaligen Einführungskurse sind heute in manchen Berufen Basisausbildungen üblich. In diesen Ausbildungen können die Lernenden ihre Grundkenntnisse innerhalb von ein bis zwei Jahren in einem geschützten Rahmen entwickeln. Viel Zeit also, um die vom Arbeitsmarkt geforderten beruflichen Grundlagen aufzubauen und damit die Daseinsberechtigung des berufskundlichen Unterrichts in Frage zu stellen.

Berufskundlicher Unterricht unter Druck?

Aufgabe der Berufsfachschulen ist es, die theoretischen Grundlagen zur Berufsausübung sowie Allgemeinbildung zu vermitteln (Art. 21, BBG, 2002). In den meisten beruflichen Grundausbildungen der Schweiz ist der Berufsfachschulunterricht deshalb in einen berufskundlichen und einen allgemeinbildenden Teil gegliedert. Während im öffentlichen Diskurs häufig über die Notwendigkeit des allgemeinbildenden Unterrichts gestritten wird, bleibt der berufskundliche Unterricht vielfach unangetastet. Gleichzeitig beklagen gerade die innovativeren Betriebe immer mehr, dass die Berufsfachschulen mit der grossen Dynamik des Arbeitsmarktes nicht Schritt halten und Inhalte vermitteln, die in der Wirtschaft nicht mehr gefragt werden. So bringt ein Berufsbildungsverantwortlicher eines Schweizer Grossunternehmens auf den Punkt, was in mehreren Interviews zum Ausdruck kam: «Wir sehen die Schule als notwendiges Übel, weil die Lerninhalte längst nicht mehr aktuell sind». Betriebe verlieren deshalb auch immer mehr die Bereitschaft, ihre Lernenden bis zu zwei Tage die Woche in die Berufsfachschule zu schicken und erhöhen damit den Druck auf die Schulen. In Zeiten des allgemeinen Kostendrucks vieler Kantone und den damit einhergehenden Ressourceneinsparungen, fehlt vielen Berufsfachschulen ein wirkungsvoller Weg, um der Dynamik des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Weiterlesen

Kadertagung «Lehrplan 21 und Sekundarstufe II» – Das Gespenst der Kompetenzorientierung

Mit dem Lehrplan 21 ist die Kompetenzförderung zu einem zentralen Paradigma der Unterrichtsentwicklung geworden. In den kommenden Jahren werden Jugendliche in die Sekundarstufe II übertreten, die noch mehr als bisher erweiterte Lehr- und Lernformen kennengelernt haben und gute Informatikkenntnisse besitzen. Sie fordert Mittelschulen und Berufsfachschulen methodisch-didaktisch, aber auch von den Lerninhalten heraus. An einer Kadertagung in Luzern ging man diesen Herausforderungen nach. Eine zentrale These: Der Begriff der Kompetenzorientierung markiert keinen Entwicklungsbruch, sondern bildet Ausdruck und Katalysator für die Weiterentwicklung von Schule.

(Text Daniel Fleischmann)

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Ein Gespenst geht um in den Schulen der Schweiz, das Gespenst der Kompetenzorientierung. Es löst, wie der Kommunismus im Marx-Zitat, Emotionen aus, Hoffnungen und Befürchtungen, Zustimmung und Skepsis. Als sie ihre «Kadertagung Lehrplan 21 und Sekundarstufe II» planten, hatten die Veranstalter auf 70 Teilnehmende gehofft – am Schluss kamen 150 an die PH Luzern, rund zwei Drittel davon aus den Gymnasien. Eingeladen hatte die Schweizerische Konferenz der Weiterbildungsverantwortlichen der Sekundarstufe II. Im Zentrum der Tagung standen ein Referat von Kurt Reusser, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft (Universität Zürich), fünf Workshops sowie zwei moderierte Gesprächsrunden. Weiterlesen

Kompetenzorientierung auf der Sekundarstufe II – zwischen Handlung und Skepsis

Beitrag: Richard Meier, Studiengangsleiter CAS FiBplus

Die Kompetenzorientierung ist in der Berufsbildung nichts Neues. Lernende, die neu mit dem LP21 von der Volksschule in die Sekundarstufe II übertreten, bringen neue Voraussetzung mit, an denen die Berufsbildung ansetzen will. Insbesondere das Prüfen von Handlungskompetenzen bleibt jedoch eine Herausforderung, der sich die Berufsbildung stellt.

Am 26. Januar wurde an der PH Luzern im Namen der Schweizerischen Konferenz der Weiterbildungsverantwortlichen der Sekundarstufe ll eine Kadertagung zu den Auswirkungen des Lehrplan 21 auf die Sekundarstufe ll durchgeführt. Daraus war zu entnehmen, dass der Kompetenzbegriff als Leitidee zur Umschreibung einer modernen, fachliche und überfachliche Inhalte umfassenden, Bildungszielsetzung dient. Während das Konzept einer kompetenzorientierten Unterrichtsgestaltung in den Praxisfeldern der Volksschule und der Berufsbildung eine gute Akzeptanz geniesst, begegnet man ihm vor allem in der Gymnasiallandschaft immer noch mit Skepsis. Es ging auch darum, ob mit den überfachlichen Kompetenzen der Volksschule wirklich die anschlussfähigen Schlüsselkompetenzen im Übergang zur beruflichen und gymnasialen Bildung vorhanden sind respektive welche Erwartungen an die Entwicklung der überfachlichen Kompetenzen von der Seite der Berufsbildung als „Abnehmende“ bestehen. Weiterlesen

Zehnkämpfer der Bildung: Lehrpersonen für die Maturitätsschulen im Allgemeinbildenden Unterricht ABU an Berufsfachschulen

ABU

Simon Zurbrügg ist Gymnasiallehrer für Geschichte, Berufsfachschullehrer für den allgemeinbildenden Unterricht ABU und Doktorand. Wie kam es dazu, dass der Historiker mit gymnasialer Lehrbefähigung vor  vier Jahren eine zusätzliche Ausbildung für eine weitere Lehrbefähigung in der Welt der Berufsbildung am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB in Angriff nahm? Sein Entscheid war doppelt motiviert: Er hatte als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Analyse von Bildungsplänen Einblick in die Berufsbildung gewonnen und ein Interesse an der Vielfalt von Berufswelten entwickelt. Er wusste auch, dass die Job-Chancen an Maturitätsschulen für einen Geschichtslehrer nicht allzu rosig sind. Als er wenig später die Gelegenheit bekam, als stellvertretender ABU-Lehrer an einer Berufsfachschule zu unterrichten, stand für ihn fest, dass er (diplomierter) Profi für Allgemeinbildung in der Berufsbildung werden wollte – was er heute auch tatsächlich ist.

Faszinierend findet Zurbrügg am ABU, «als eine Art Zehnkämpfer der Bildung verschiedene Inhalte vermitteln zu können». Der thematisch organisierte ABU fordert ihn heraus, alltagsnahe Situationen mit den Lernenden aus verschiedensten Perspektiven zu beleuchten – beispielsweise aus rechtlicher, ökonomischer und ökologischer, aber auch aus ethischer Sicht – und dabei immer auch die Sprache und Kommunikation der Lernenden zu fördern. «Anders als am Gymnasium, wo mehrheitlich deduktiv unterrichtet wird und oft eine abstrakte Ebene Ausgangspunkt der Vermittlung ist, versucht man im ABU, an das lebensweltliche Vorwissen der Lernenden anzuknüpfen und erst in einem zweiten Schritt auf die Makroebene zu gelangen.» Weiterlesen

An der Herbsttagung der Berufsbildung 2017 gehört: „Eltern kennen die Berufsbildung zu wenig“

Der Vergleich zwischen dem gymnasialen Weg und dem Berufsbildungsweg bewegt seit Jahren die Gemüter der Berufsbildung. Die Diskussion wird oft ohne Berücksichtigung der meritokratischen Logik unseres Bildungssystems geführt. Eine Aussage an der Herbsttagung der Berufsbildung 2017 hat mich zu folgenden Gedanken angeregt.

„Die Eltern kennen das Berufsbildungssystem zu wenig, deshalb wollen sie für ihr Kind den gymnasialen Weg.“ Ich zucke immer etwas zusammen, wenn ich dieses Argument höre, da es nicht mit meiner (subjektiven) Beobachtung übereinstimmt. Ich beobachte, dass die Eltern das Schulsystem sehr wohl verstehen und auch durchschauen. Dies bestätigt auch eine Studie der PH Luzern bei über 160 Eltern von Primarschulkindern am Übergang in die Sekundarstufe I (Gut, 2016).

In unserem meritokratischen Bildungssystem ist es die Leistung, die bewertet und belohnt wird, beziehungsweise werden sollte. Die „Belohnung“ für gute Leistungen sind im Schulalltag gute Schulnoten. Es sind auch die Schulnoten, die die Grundlage von Selektionsentscheiden bildet. Welches Kind in welche Leistungsstufe kommt, hängt also von den Schulleistungen ab. Schulnoten sind als Leistungsindikatoren – nicht unumstritten – aber in der Wirtschaft und Gesellschaft als Leistungsindikator akzeptiert.

Auch die durch die Sortierung anhand der Schulnoten entstehende soziale Ungleichheit ist allgemein akzeptiert. Sie entspricht den vorherrschenden Gerechtigkeitsnormen und wird durch diese legitimiert. Gefordert wird im meritokratischen Schulsystem allerdings die Chancengleichheit im Sinne, dass Kinder und Jugendliche mit ähnlichen Fähigkeiten, ähnliche Chancen auf ähnliche Schulnoten haben, und zwar unabhängig etwa ihrer sozialen Herkunft oder ihres Geschlechts. Unter der Prämisse, dass dieses Prinzip der Chancengleichheit realisiert ist, akzeptiert nicht nur unser ökonomisches System, dass es ein „Unten“ und „Oben“ gibt, auch viele Eltern und Lehrpersonen akzeptieren es. Manche sehen es gar als Notwendigkeit an, um (junge) Menschen zu Leistungen zu motivieren. Weiterlesen

Bilingualer Unterricht und die Mobilität von Berufsfachschullehrpersonen

Die PH Luzern und die PH Zürich qualifizieren seit mehreren Jahren Berufsfachschullehrpersonen für den bilingualen Unterricht an den Berufsfachschulen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag, die erwünschte Mobilität von Berufsbildungsverantwortlichen zu fördern. Um die Mobilität weiter zu fördern, müssen jedoch weitere Massnahmen ergriffen werden.

Die nationale und internationale Mobilität von Berufsfachschullehrpersonen ist auch im Rahmen ihrer Aus- oder Weiterbildung gesellschaftlich und politisch erwünscht. Hiervon zeugen gesetzliche Grundlagen (z.B. BBG, Art. 68, VIZBM vom 18.9.2015), neu geschaffene Institutionen (z.B. SFAM, Movetia, ch Stiftung), Finanzierungsmöglichkeiten (z.B. ERASMUS+) oder die Qualifizierung im bilingualen Unterrichten. Die Pädagogischen Hochschulen bilden mit ihren Weiterbildungsstudiengängen CAS Bilingualer Unterricht in der Berufsbildung (PH Luzern) und CAS „bili“ – Zweisprachiger Fachunterricht (PH Zürich) seit mehreren Jahren Berufsfachschullehrpersonen für den bilingualen Unterricht (BKU, ABU) aus. In den letzten Jahren entwickelten sich umfassende Kompetenzen und ein breites Team an bili-Dozierenden, sodass einerseits der Bedarf an bili-Qualifizierungsmassnahmen im Rahmen eines CAS in der Deutschschweiz gut abgedeckt werden kann und anderseits Fachteams oder ganze Berufsfachschulen in ihrer Implementierung von bilingualem Unterricht unterstützt werden können. Heute unterrichten bereits in mehreren Kantonen Berufsfachschullehrpersonen bilingual. Der bilinguale Unterricht in der Berufsbildung ist eine wichtige Komponente in der Förderung der Lernenden.

Wunsch und Wirklichkeit in der Mobilität der Berufsfachschullehrpersonen

Gemäss dem Bologna-Prozess 2020 sollen bis ins Jahr 2020 mindestens 20 Prozent der Absolvierenden einer Hochschule einen Studien- oder Praktikumsaufenthalt im Ausland absolviert haben. Diese Forderungen sind für die Studierenden eines Diplomstudiengangs (z.B. Dipl. Berufsfachschullehrer/in) aufgrund ihrer Situationen kaum zu erreichen. Die Studierenden in der Ausbildung zur Berufsfachschullehrperson weisen einen ersten tertiären Bildungsabschluss – in ihrem Fachbereich –, Berufserfahrung sowie in der Regel erste Unterrichtspraxis auf der Zielstufe aus. Sie studieren mehrheitlich berufsbegleitend an einer Pädagogischen Hochschule und sind mehrheitlich älter als 30 Jahre. Weiterlesen

Buchreview: Aus dem Reformalltag der beruflichen Grundbildung

«Ausbilden» von Carlen, Grassi, Hämmerle und Koch präsentiert entlang des Reformprozesses im Berufsfeld Verkehrswegbau einen reichen Strauss an Themen der beruflichen Grundbildung. Die Publikation präsentiert normative Konzepte, ethnografische Beobachtungen, hilfreiche Checklisten und selbstkritische Analysen, womit eine wichtige Dokumentation eines einmaligen Reformprozesses entstanden ist. Die 150 Seiten umfassende Publikation gibt Aussenstehenden wie auch Personen, die vor einer Revision einer Bildungsverordnung stehen, wichtige Einblicke in das System der beruflichen Grundbildung und Hinweise zur Gestaltung von Reformprozessen.

Das Buch «Ausbilden. Kompetenzorientierung und Lernortkooperation in der beruflichen Grundbildung» ist die jüngste Publikation der Reihe hep praxis und dokumentiert den Prozess der Reform des Berufsfelds Verkehrswegbau. Nach dem einleitenden Kapitel, das im Wesentlichen die Ausgangslage des Reformvorhabens beschreibt, folgen sieben inhaltliche Kapitel und ein Schlusswort. Weiterlesen