Strukturwandel in der Berufsbildung?

Wir kennen alle die Phänomene, die mit einem Strukturwandel verbunden sind. Die lang bewährten und erfolgreichen Strukturen (und Organisationen) erodieren und neue Strukturen (und Organisationen) entstehen. Die einst Erfolgreichen verschwinden und die Neuen, die sich nicht auf die alten Strukturen verlassen, blühen auf. Ein Blick nach Deutschland hat bei mir die Frage aufgeworfen, ob sich die Berufsbildung in einem solchen Strukturwandel befindet und ob die Initiative Berufsbildung 2030 diesen Strukturwandel vorwegnimmt, forciert oder zu bremsen versucht?

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg schreibt in ihrer Stellungnahme «Digitalisierung: Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung in Deutschland» dass die Zahl der Studienanfänger/innen heute höher ist als die Zahl der Anfänger/innen in der (dualen) Berufsbildung (BMBV, 2018). Zudem wird beobachtet, dass die Arbeitslosenquote der «Personen mit einem Hochschulabschluss geringer ist, als diejenige von Personen mit einem Lehrabschluss» (Söhnlein et al., 2017) und «zudem über ihr Erwerbsleben hinweg ein deutlich höheres Einkommen [erzielen] als die Personen mit einem mittleren Qualifikationsniveau» (Stüber, 2016). Die «zu beobachtende Ausweitung akademischer Bildung» – hierzulande oft als «Akademisierung» bezeichnet – habe nicht zur «befürchteten Beeinträchtigung der Arbeitsmarktchancen der Akademiker/innen» geführt. Die Nachfrage nach Akademiker/innen sei in den letzten Jahren stärker gestiegen als das Angebot aufgrund der Internationalisierung der Wirtschaft, des technologischen und organisatorischen Wandels sowie den gestiegenen Qualifikationsanforderungen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Berufsbildung auf diesen Strukturwandel reagiert. Oder konkreter, wird mit der Initiative Berufsbildung 2030 der notwendige Strukturwandel eingeleitet?

Unter «Leitbild und Stossrichtung» von Berufsbildung 2030 können wir lesen: «Berufsbildung 2030» ist eine verbundpartnerschaftlich getragene Initiative, welche die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft antizipiert und die Berufsbildung fit für die Zukunft macht. Bisherige Arbeiten und Studien haben gezeigt, dass die Schweizer Berufsbildung – bestehend aus beruflicher Grundbildung, Berufsmaturität, höherer Berufsbildung und berufsorientierter Weiterbildung – insgesamt gut aufgestellt ist. Es drängt sich kein grundsätzlicher Richtungswechsel auf. Ihre Stärken (siehe »Kernelemente) wie die Nähe zum Arbeitsmarkt, die Dualität und die Verbundpartnerschaft überzeugen. Sie sorgen für die nachhaltige Verankerung in Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist eine solide Grundlage für die weitere Entwicklung.»

Mich würde Ihre Meinung interessieren. Diskutieren Sie mit eigenen Kommentaren.

 

Prof. Dr. Jürg ArpagausPH Luzern

Twitter: @juergarpagaus

 

Ein Kommentar zu “Strukturwandel in der Berufsbildung?

  1. Das Berufsbildungssystem der Schweiz soll mit dem Projekt BB2030 fit für die Zukunft gemacht werden. Die systemischen Anpassungen bleiben jedoch tatsächlich sehr bescheiden. Alles soll etwas dynamischer und flexibler werden. Der Druck für eine grössere Revision fehlt angesichts der stabilen Zahlen in der beruflichen Grundbildung. Fakt ist aber, dass die Hochpreisinsel Schweiz sich künftig noch stärker auf spezialisierte Dienstleistungen und Angebote fokussieren wird, was ebenso spezialisiertes Personal verlangt. Gleichzeitig leben wir in einer sehr dynamischen Zeit, in der das lebenslange Lernen zu einer Art Religion heranwächst und der gymnasiale Weg wieder im Aufwind liegt. Die Frage stellt sich, ob die berufliche Grundbildung Stand heute (oder mit den Anpassungen durch das Projekt BB2030) gerüstet ist, mit diesen Herausforderungen umzugehen. In Deutschland wurde mit dem dualen Studium nach dem Vorbild des State University System der USA ein Angebot geschaffen, das die Zeichen der Zeit zu erkennen glaubt. Es ist als Ergänzung zur bestehenden beruflichen Grundbildung zu verstehen, verbindet berufspraktische und wissenschaftliche Kompetenzen und führt seit dem Jahr 2009 zu einem akademischen Bachelor-, bzw. Masterabschluss. In Zeiten eines chronischen Nachwuchsproblems in einigen Berufen bietet das Modell neue Chancen, da es nach einem Gymnasialabschluss beispielsweise kein Praxisjahr verlangt und deshalb schulisch gut ausgebildete Maturanden anzieht. In der Schweiz stellt das duale Studium noch ein Novum dar, wird aber in einigen Hochschulen seit 2015 als Pilot getestet. Voraussetzung ist neben der Matura ein gültiger Arbeitsvertrag. Allenfalls müsste dieses noch häufig unbekannte Modell vermehrt in die Diskussionen der BB2030-Projekts einfliessen…

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