Average ist Over! Binnendifferenzierter Unterricht in der Berufsbildung

Gut geschulte Lehrpersonen gestalten ihren Unterricht binnendifferenziert. Sie fördern beispielsweise unterschiedlich starke Gruppen mit angepassten Inhalten und Aufgaben. Wie weit kann die Binnendifferenzierung gehen? Wo liegt das Optimum?

Von Lehrpersonen in der Berufsbildung wird – auch bei zunehmend heterogenen Gruppen – guter Unterricht erwartet. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Lehrpersonen nicht nur eine ausgeprägte Diagnosefähigkeit aufweisen, sie müssen auch einen binnendifferenzierten Unterricht gestalten können.

Bevor sich Lehrpersonen aber an die (Um)Gestaltung ihres Unterrichts machen, muss eine Auseinandersetzung mit der Frage der Heterogenität stattfinden. Weshalb nimmt die Heterogenität zu? Welche Heterogenität ist im Lehr- und Lernkontext relevant? Usw. Die klassischen Argumente der Heterogenitätszunahme in der Bevölkerung sind (1) die sich verändernde Zusammensetzung der Bevölkerung, (2) die Individualisierung der einzelnen Lebensentwürfe mit unterschiedlichen Normen und Werte aber auch (3) die zunehmende Sensibilität der Diagnose und Diagnoseinstrumente (Allen Frances, 2013). Da Lernerfolg nur begrenzt biologisch begründet werden kann, sind die relevanten Differenzierungen in einer Klasse mannigfaltig. Diese umfassen beispielsweise das Vorwissen, die Motivation und die Bildungsaspiration, die Lernerfahrung, der Lerntyp, die kulturelle und soziale Einbettung mit den entsprechenden Einflussfaktoren.

Mehr oder bessere Differenzierung?

Heute besteht der individuelle wie auch der gesellschaftliche Anspruch, dass Lernprozesse in den Schulen auf die individuellen Bedürfnisse und Eigenheiten der Lernenden ausgerichtet werden, sodass jeder/jede Lernende einen optimalen Lernzuwachs/Kompetenzzuwachs erfahren kann. Dank den fortschreitenden Erkenntnissen der Diagnostik und den verfügbaren hoch sensiblen Diagnoseinstrumente werden Lernende feinteiliger, höher auflösend, durchdringender erfasst, analysiert und bewertet. Durch die fortschreitende Digitalisierung der Schule und des Unterrichts, werden die Lernenden zunehmend auf eine neue (granularere) Weise digital erfasst (vgl. Kucklick, 2014). Lehrperson können dann, basierend auf einer fundierten, individuellen Datenlage, jede/n einzelne/n Lernende/n individuell fördern. Es scheint, dass trotz der Einbettung in vorgegebene Rahmenlehrpläne die Abkehr vom Durchschnitt als Orientierungspunkt das neue Rezept auch an der Berufsfach-/ Berufsmaturitätsschule sein soll (vgl. Cowen, 2013).

Für die Lehrperson stellt sich dann die Frage, wie und in welchem Ausmass sie den Anforderungen an ihre Diagnosefähigkeit und auf individuellen Daten basierende individuelle Förderung in einem binnendifferenzierten Unterricht gerecht werden kann und will. Oder, wo der Grenznutzen der Individualisierung und Differenzierung im Unterricht erreicht ist. Gibt es ein Optimum an Diagnostik und Differenzierung für den Unterricht in einer Berufsfachschule? Wo kann dieses Optimum aus Perspektive der Lernenden, der Lehrpersonen und der Berufsbildung liegen?

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

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