Die wichtige Präsenz der HBB auf der Sekundarstufe I

Die Attraktivität der Berufsbildung hängt wesentlich von den Entwicklungsmöglichkeiten im Berufsfeld ab. Es ist die höhere Berufsbildung (HBB), die in der handlungsorientierten post-sekundären Qualifizierung eine Schlüsselrolle spielt. Das von der HBB ausgehende Signal an die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I kann Entscheidungen zugunsten der Berufsbildung beeinflussen. Ist die HBB heute dazu in der Lage?

Eine grosse Stärke der (dualen) Berufsbildung ist, wie sie den Übergang der Mehrheit der Jugendlichen in der Schweiz von der Schule in den Beruf (Erwerbsleben) gestaltet. In die berufliche Grundbildung überzutreten ist in der Schweiz «ein sicherer Wert». Heute verspricht ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Anstellung nach der Berufslehre, einen relativ hohen Lohn und Entwicklungsperspektiven. Der schnelle technologische Wandel erfordert aufgrund der stark handlungsorientierten Qualifizierung der beruflichen Grundbildung häufige Anpassungen der Berufsqualifikationen. Hierfür bieten sich die Angebote der Höheren Berufsbildung (HBB) an.

Die HBB ist heute stark an die regulierten Studiengänge bzw. Berufsprüfungen (BP) und höheren Fachprüfungen (HFP) gebunden. Der Vorteil dieser Abschlüsse ist, dass sie institutionalisiert und die Diplome in der Schweiz gut anerkannt sind. In der sich schnell wandelnden Welt muss sich die HBB jedoch fragen, ob sie mit diesen institutionalisierten Abschlüssen ausreichend schnell auf Veränderungen reagieren kann, oder ob nicht zusätzlich flexiblere und kostengünstigere Angebote attraktiver sind und den jungen Berufsleuten mehr Perspektiven versprechen.

Berufsbildung mit hohen «sunk costs»

Bildungsentscheidungen sind Langfristentscheidungen, die Karrierewege und -möglichkeiten mitberücksichtigen. Aufgrund der starken Bindung an die Praxis investieren Lernende der beruflichen Grundbildung stark in ihre berufsspezifischen und handlungsorientierten Kompetenzen. Diese müssen sie im Laufe ihrer Karriere zugunsten von neuen Qualifikationen zumindest teilweise aufgeben. Bei der Weiter- oder Neuqualifizierung von Berufsleuten fallen sogenannte «sunk costs» an, die bei der Berufswahl mitberücksichtigt werden.

Lebenslanges Lernen und «Employability»

Mit dem Paradigma des lebenslangen Lernens verschiebt sich die Verantwortung der «Employability» von den Unternehmen hin zu den Individuen. Es liegt heute in der Verantwortung jeder Einzelnen, jedes Einzelnen, sich «employable» zu halten. Das wird auch im zunehmend wahrgenommenen Trend deutlich, dass die Unternehmen bei HBB-Studierenden weniger finanzielle Unterstützung bieten.

Jugendliche antizipieren in ihrer Berufs- und Studienwahl das hohe (und zunehmende) Obsolenztempo der handlungsorientierten und berufsspezifischen Kompetenzen und die damit verbundene, notwendige laufende Anpassung der Qualifikationen. Diese Anpassungen sind mit finanziellen und zeitlichen Belastungen verbunden. Die HBB muss hier attraktive Antworten bieten.

Denn alternativ steht vielen Jugendlichen der allgemeinbildende Weg offen. Eine generalistischere Qualifizierung vermittelt Kompetenzen, die sich mit tieferen Kosten auf neue Anforderungen anpassen lassen. Das lebenslange Lernen erscheint somit attraktiver, um «employable» zu bleiben. Zudem haben Personen mit einem Hochschulabschluss auch mit zunehmendem Alter einen einfacheren Zugang zu Weiterbildungen. Beim allgemeinbildenden Weg müssen die Jugendlichen hingegen einen eher schwierigeren Einstieg ins Erwerbsleben in Kauf nehmen.

Berufs- und Studienwahl hängt auch von der Attraktivität der HBB ab

Für Jugendliche stellt sich also vor dem Übertritt in die Sekundarstufe II die Frage, ob sie sich für den kurzfristig lukrativen und risikoarmen Berufsweg, mit dem künftigen Druck, ihre Berufskompetenzen mehrmals grundlegend zu erneuern, entscheiden, oder ob sie den längerfristig sichereren Weg über die Hochschule wählen, der über einen allenfalls schwierigen Einstieg ins Erwerbsleben führt. Diese Entscheidung hängt nicht nur von den individuellen Kompetenzen und strukturellen Möglichkeiten ab, sondern auch von persönlichen Präferenzen, ökonomischen Möglichkeiten und der Bewertung der Zukunft.

Wenn es die HBB schafft, Schulabgänger/-innen davon zu überzeugen, dass sie die notwendigen Qualifizierungsangebote zur Erhaltung bzw. zur laufenden Erneuerung der Employability zu interessanten Konditionen bereitstellen und vielfältige Perspektiven bieten kann, dann wird für viele Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I die Berufsbildung (noch) attraktiver.

Prof. Dr. Jürg Arpagaus, PH Luzern

Twitter: @juergarpagaus

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