Klassenlehrpersonen an Berufsfachschulen

In der Volksschule und den Gymnasien nehmen Klassenlehrpersonen eine zentrale Rolle ein, sind Dreh- und Angelpunkt in Fragen der Koordination und Kooperation und schaffen ein lernförderndes Klassenklima. Die Lernenden der Berufsbildung treffen sich in der Regel nur ein-zweimal die Woche im Unterricht. Nun stellt sich die Frage, brauchen die Klassen der Berufsfachschulen Klassenlehrpersonen?

 

Während meiner Berufslehre vor rund 30 Jahren hatte ich einen Tag berufskundlichen Unterricht bei Herrn Bader* und einen halben Tag Allgemeinbildung bei Herrn Anderli*. Ob einer der beiden unser Klassenlehrer war, weiss ich nicht mehr. Wir waren eine ruhige, lernwillige Klasse, die keine disziplinarischen Massnahmen erforderte. Trotz der vier gemeinsamen Lehrjahre, blieben mir aber die meisten meiner Klassenkameraden fremd. Heute frage ich mich, weshalb so wenig Wert auf die sozialen Komponenten des Lernens gelegt wurde.

Klassenlehrperson ist in der Berufsbildungsverordnung (BBV) verankert

Gemäss der Berufsbildungsverordnung (BBV) müssen die Berufsfachschulen lediglich eine Ansprechperson für die Lernenden bezeichnen. In Zeiten der zunehmenden Bedeutung der „non-cognitive skills“, der stärker ausdifferenzierten Schulen und der höheren Komplexität der Lerninhalte, werden aus pädagogischer Sicht jedoch zusätzliche Anforderungen an die Klassen und deren Lehrpersonen gestellt. Der Kanton Luzern hat deshalb die Aufgaben von Klassenlehrpersonen in den Berufsfachschulen expliziert und ihr als zentrale Kontaktperson zwischen Lernenden, Eltern, Lehrbetrieb, Lehrpersonen und Schulleitung Aufgaben zugewiesen. Da heisst es, die Klassenlehrperson koordiniert die pädagogische und administrative Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen, die in derselben Klasse unterrichten, sichert den Informationsfluss, führt bei Bedarf Klassengespräche durch und koordiniert die Arbeiten im Zusammenhang mit der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung (Absenzen und schulische Leistungen; Schulberichte; Zeugnisse).

Klassenlehrpersonen sind mehr als Koordinatoren

Bei Zweckgemeinschaften, wie sie die Klassen der Berufsfachschulen darstellen, wirken auch Kontextvariablen auf die schulischen Leistung der Jugendlichen. Es sind dies beispielsweise die geteilten Normen in Bezug auf die Lernkultur und Leistungsbereitschaft oder das Klassenmanagement. Klassenlehrpersonen in den Berufsfachschulen müssen zusätzlich zu den koordinativen Aufgaben diese Normen setzen. Sie können dies tun, indem sie eine klare Kommunikation mit den Lernenden pflegen, gemeinsame positiven (Lern-)Erlebnisse ermöglichen, unerwünschte Störungen, z.B. durch disziplinarische Interventionen, vermeiden oder die Lernenden motivieren, sich untereinander Rückmeldungen zu geben, sich gegenseitig zu unterstützen oder Freundschaften zu schliessen.

Aufgaben, Kompetenzen, Ressourcen

Wenn Berufsfachschullehrpersonen die umfassenden Aufgaben einer Klassenlehrperson wahrnehmen wollen, dann müssen sie einerseits die entsprechenden Kompetenzen mitbringen und anderseits die notwendigen Ressourcen zur Verfügung haben. Je mehr Bedeutung dem sozialen Lernen und den „non-cognitive skills“ beigemessen wird – oder anders ausgedrückt: je stärker eine kompetenzorientierte Ausbildung in der beruflichen Grundbildung gefördert wird, umso mehr Ressourcen müssen den Klassenlehrpersonen zur Verfügung stehen. Wenn aber diese Ressourcen gekürzt statt ausgebaut werden, reduziert sich die Qualität der Ausbildung zwangsläufig in dem Bereich, der an Bedeutung gewinnt.

CAS Klassenlehrer/in Sek II

Wenn eine Berufsfachschullehrperson die umfassenden Aufgaben einer Klassenlehrperson ernsthaft wahrnehmen will, dann muss sie über ein zusätzliches Set an Kompetenzen verfügen. „Der ‚geborene‘ Klassenlehrer hat sein Metier weitgehend gelernt“, meint Ivan Rickenbacher, der promovierte Pädagoge. Die PH Luzern bietet für Lehrpersonen der Sekundarstufe II eine Zusatzausbildung „Klassenlehrer/in“ im Rahmen eines Zertifikatsstudiengangs (CAS) an. Der auf Praxisfällen der Teilnehmenden basierende Zertifikatsstudiengang richtet sich zwar primär an Mittelschullehrpersonen, kann aber auch von Berufsfachschullehrpersonen besucht werden. Wenn die Übernahme der Funktion einer Klassenlehrperson ein Teil des beruflichen Auftrags ist, dann müssen die Ressourcen und Kompetenzen zu den Aufgaben kongruent sein.

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

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