Wenn informelles durch formelles Mentoring ersetzt werden muss

Informelles Mentoring wirkt sich positiv auf den Lern- und Schulerfolg aus. Nicht alle Jugendlichen können auf ein effektives informelles Mentoring zurückgreifen. In der beruflichen Grundbildung können diese Jugendlichen mit der fachlich individuellen Begleitung (FiB) formell unterstützt werden.

„Mentoring matters!“ schreibt Robert Putnam in seinem neuen Buch „Our Kids“ (2015). Der Harward-Professor beschreibt das Phänomen, dass „poor kids“, womit er Kinder und Jugendliche von sozioökonomisch unterprivilegierten Eltern meint, weniger in den Genuss von Unterstützung, Ratschlägen, Hinweisen usw. kommen, als Kinder und Jugendliche von wohlhabenden Eltern. In der Literatur wird oft zwischen dem formellen und dem informellen (oder natürlichen) Mentoring unterschieden. Das informelle Mentoring erfolgt im Alltag der Jugendlichen beispielsweise durch Geschwister, Verwandte, Freunde der Eltern, Trainer in Sportvereinen oder auch durch Lehrpersonen. Beim formalen Mentoring wird eine formale Beziehung zwischen Mentoren und ihren Mentees für einen bestimmten Zweck aufgebaut und gepflegt.

Mentoring ist unter den Kindern und Jugendlichen ungleich verteilt. Insbesondere das informelle Mentoring findet sich seltener bei Kindern aus sozioökonomisch schwächeren Familien. Dies trifft in der Schweiz beispielsweise auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu, deren soziale Netzwerke weniger effizient sind (vgl. Arpagaus, 2012). Der Unterschied an informellem Mentoring zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten beginnt bereits in der Primarschule und vergrössert sich mit den Jahren zunehmend (Bruce und Bridgeland, 2014). Es kann deshalb angenommen werden, dass es substantielle Unterschiede im Ausmass des erhaltenen Mentorings bei Jugendlichen in der Berufsbildung gibt.

Mentoring ist erwünscht und hilft

Wollen die Jugendlichen ein Mentoring? Und hilft ihnen ein Mentoring? Die einzige mir bekannte wissenschaftliche Untersuchung, die eine repräsentative Perspektive der Jugendlichen zu Mentoring erfasst hat, zeigt folgende Befunde: Jugendliche wünschen sich ein Mentoring. Rund 90 Prozent der Jugendlichen schätzen ein Mentoring als hilfreich und sehr hilfreich (69%) ein, da es sie mit komplementären „benefits“ (z.B. Informationen) bedient, und zwar in persönlichen, schulischen und beruflichen Belangen (Bruce und Bridgeland, 2014). Interessant ist, dass es vor allem diejenigen Jugendlichen mit wenig informellem Mentoring sind, die gerne auf Mentoren zurückgegriffen hätten (Bruce und Bridgeland, 2014). Die Jugendlichen scheinen das Manko an informellem Mentoring (bewusst oder unbewusst) ausgleichen zu wollen. Ein Jugendlicher meint „Wenn ich einen erwachsenen Mentor gehabt hätte, würde mein Leben heute anders aussehen. So habe ich mehr Fehler gemacht, die ich bereue und deren Konsequenzen sich bis heute auswirken“ (Bruce und Bridgeland, 2014). Jugendliche, die eigene Erfahrungen mit einem Mentoring machen konnten, sind zudem signifikant stärker daran interessiert, selber einmal Mentoren zu werden.

FiB ein elaboriertes Mentoring

Lehrpersonen können sowohl als informelle als auch als formelle Mentoren tätig sein. Putnam (2015) weist darauf hin, dass der Mangel an informellem Mentoring durch ein formelles Mentoring kompensiert werden kann. Sowohl aus ökonomischer wie auch aus gesellschaftlicher Perspektive ist die Unterstützung durch Mentoring von schulisch Schwächeren durch Lehrpersonen erwünscht. Entsprechend finden sich verschiedene Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen auf dem Weiterbildungsmarkt, welche die Lehrpersonen befähigen, Schüler oder Lernende als Mentoren effektiv zu begleiten. In der Berufsbildung hat sich die fachkundige individuelle Begleitung (FiB) im Bereich der zweijährigen Grundausbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) dank der gesetzlichen Verankerung im Berufsbildungsgesetz( BBG) gut etabliert. Lehrpersonen mit einer „FiB-Weiterbildung“ (z.B. CAS FiB) sind in der Lage, wichtige Aufgaben eines formellen Mentorings wahrzunehmen und den Lernenden als Ratgeber, Motivatoren, Coaches, Vermittler oder Advokaten zur Seite zu stehen. Ein Mehr an formellem Mentoring durch „FiB-Lehrpersonen“ ist nicht nur ein Beitrag Chancenungleichheiten zu reduzieren, es ist auch ein Beitrag, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, da mit der fachkundigen individuellen Begleitung das brachliegende Potential der schulisch Schwächeren mobilisiert werden kann.

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

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