Lehren und Lernen im „Unruhestand“

Das Lernen im Alter beginnt in der Jugend. Dennoch unterscheidet sich der Lehr-Lernprozess zwischen jungen und älteren Lernenden. Lehrpersonen, Trainer oder Coaches können sich heute in Geragogik aus- und weiterbilden lassen. Vielversprechend ist der Ansatz der Lernbegleitung in „Altersprojekten“.

Mit der nachobligatorischen Ausbildung beginnt das „Lebenslange Lernen“ im Erwachsenenalter. Ab der Sekundarstufe II bereiten sich in der Schweiz die Mehrheit der Jugendlichen auf das Erwerbsleben vor. Es folgen Aus- und Weiterbildungen auf der tertiären und der „quartären“ Bildungsstufe. Der technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel bringen es mit sich, dass Erwerbstätige sich laufend auf die Veränderungen vorbereiten oder anpassen müssen. Sie tun dies in formalen oder informellen Lernprozessen. Lebenslanges Lernen bedeutet aber auch, dass das Lernen nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben, weitergeht. Obwohl die im Erwerbsleben gegebene Notwendigkeit nach Weiterbildung nach der Pensionierung scheinbar weg fällt, bilden sich die über 65jährigen zu rund 12% non-formal und 38% informell weiter; Tendenz steigend (vgl. Tippelt et al., 2009).  Zudem nimmt die Bedeutung von Lernangeboten für Personen nach der aktiven Erwerbsphase mit der Pensionierung der Baby Boomer zu. Denn die Babyboom-Generationen wechseln nach der Pensionierung in den „Unruhestand“ (Höpflinger, 2015), der zum Teil neue Kompetenzen von den älteren Personen verlangt. Baby Boomer verbleiben auch aufgrund ihrer verstärkt auf Selbstbestimmung ausgerichteten Sozialisation „auch im späteren Lebensalter innovativ und lernbereit“ (Höpflinger, 2015).

Weiterbildung als Lebensprojekt

Mit dem Austritt aus dem aktiven Erwerbsleben verändert sich die Bedeutung von Weiterbildungen. In Deutschland stellt man in der Tat fest, dass sich die berufliche Weiterbildung bei Personen über 65 Jahren auf rund 9% reduzieren (vgl. Tippelt et al., 2009). Wenn es während des Erwerbslebens eine unumgängliche Notwendigkeit war, sich beruflich weiterzubilden, treten nach der Pensionierung private Interessen und Interessen aus dem freiwilligen Engagement in den Vordergrund. Mit der zunehmenden Professionalisierung der Freiwilligenarbeit werden auch die Anforderungen an ältere Personen, die Freiwilligenarbeit leisten (wollen), steigen (vgl. Arpagaus und Höglinger, 2006), was zu einer Zunahme von spezifischen „beruflichen“ Weiterbildungen für ältere Menschen führen wird.  Weiterbildung nach der Pensionierung nehmen oft auch die Funktion von „Altersprojekten“ oder sogenannte „Lebensprojekten“ (vgl. Illeris, 2004) an. Damit wird die Weiterbildung von älteren Menschen nicht nur als Investition in die Akkumulation von verwertbarem Humankapital verstanden, sondern sind auf individuelle Entwicklungsziele ausgerichtet (vgl. Lottmann, 2013).

Lernen im Alter

Der Mythos, dass im Alter nicht mehr gelernt werden kann, wiederlegt bereits die Alltagserfahrung. Meine 80jährige Mutter beispielsweise, über 50 Jahre Familienfrau, surft im Internet, Skyped mit meiner Schwester in den USA und grüsst von ihren Ausflügen via SMS. Breiter abgestützte Erkenntnisse aus der neurowissenschaftlichen Forschung zeigen, dass die Plastizität des Gehirns, d.h. die Veränderbarkeit bis ins hohe Alter gegeben ist; jedoch vom Training (ähnlich wie bei Muskeln) abhängig ist (z.B. Spitzer, 2008). Das heisst, die geistige Leistungsfähigkeit geht nicht mit dem Alter zwangsläufig verloren. Sie bleibt dann erhalten, wenn sie ständig, d.h. lebenslang und gezielt genutzt und damit trainiert wird. Dennoch lernen ältere Menschen anders als jüngere Menschen. Sie knüpfen beispielsweise eher an bestehendem Wissen an. Wir beobachten aber auch, dass die Varianz der Lernfähigkeit innerhalb einer Jahrgangskohorte mit dem Alter zunimmt.

Geragogik lernen

Lehrpersonen, Trainer oder Coaches, die künftig in eine Lehr-Lern-Interaktion mit Mensch nach deren Pensionierung treten wollen, können sich künftig an der aeB Schweiz oder an der PH Luzern entsprechend ausbilden lassen. Die Ausbildung für die Lehr- und Lernbegleitung von Lebensprojekten in der Nacherwerbsphase  startet als Pilot im Frühling 2016. Interessierte können sich bei der aeB Schweiz melden.

Prof. Dr. Jürg H. Arpagaus, Prorektor, PH Luzern

 

 

3 Kommentare zu “Lehren und Lernen im „Unruhestand“

  1. Das Lesen dieses Beitrags bekräftigt unsere Überzeugung einmal mehr, dass das Wissen ein Humankapital ist. Hierbei sollten keine Sparübungen toleriert werden, weder in der Grund- noch in der Weiterbildung. Dass Lernen und Lehren keine Altersbegrenzung hat, zeigt sich anhand des Projekts win3 – drei Generationen im Klassenzimmer und Kindergarten der Pro Senectute. Dabei können alle Altersgruppen von einander profitieren bzw. lernen, z.B. im Bereich Lebenserfahrung. Die Neurobiologie bestätigt, dass lebenslanges Lernen möglich ist, „Lernen entspricht einer Neuverschaltung der Synapsen und der Stärkung ihrer Verbindung“. (Quelle: Berlinger D.: Vom Lernen zum Lehren) Die Humanistische Pädagogik unterstreicht, dass der Mensch von sich aus nach Wachstum und Entwicklung strebt und dass die Haltung aller Beteiligten den Lernprozess beeinflusst.

    • Ein sehr aufschlussreicher und durchdachter Kommentar zum Thema. Liebe Grüsse Pascal und Simon

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