Zeit im Einmachglas

Zeit im Einmachglas I

Am 25.4.22 startete der neue Spezialisierungsstudiengang mit 20 Studierende der PH Luzern. Im Rahmen des ersten Moduls spielen&erfinden entstanden bereits am ersten Tag szenische Miniaturen. Davon ausgehend wurde während der gesamten Blockwoche mit unterschiedlichsten Spuren konservierter Zeit experimentiert und szenisch be- und verarbeitet.

Zeit im Einmachglas II 

Im Zentrum des zweiten Tages stand die theatrale Figurenarbeit und damit verbunden die versteckten Geheimnisse, die die Zeit in den Figurenbiografien hinterlässt.

Zeit im Einmachglas III 

Szenische Miniaturen ausgehend von einer Philosophierunde zu „Kurzeweile“. Gibt es sie noch? Ist sie langweilig?

Zeit im Einmachglas IIII

Szenische Experimente ausgehend von einem dramaturgischen Modell, das eine „Mangelsituation“ als Ausgangslage nimmt und jegliche inhaltliche Scheu zur Wiederherstellung des „Gleichgewichtes“ überwindet.

Zeit im Einmachglas IIIII

Verbunden durch das Ticken der Zeit erzählten die 20 Studierenden des Spezialisierungsstudium Theaterpädagogik fünf kurze Geschichten, welche alle „konservierte Zeit“ als gemeinsamen Ausgangspunkt nutzen.

Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute

Theaterproduktion von La Grenouille, Biel

Besuch einer Schulvorstellung am 19. Mai 22 im Tojo Theater der Reitschule Bern

von Kathrin Brülhart Corbat

Am letzten Donnerstag besuchte ich eine sehr eindrückliche Inszenierung, die mich noch heute, vier Tage danach, mit starken Bildern zurücklässt: Der zitternde «Gestreifte», der den Bären füttern muss. Der Bär im Regen, schutzsuchend in seiner Höhle; das Murmeltiermädchen, das ihm die Höhle einrichtet. Der gescheitelte Junge auf der Seite der schönen Häuser, mit seinem übergrossen Gewehr. Der Junge auf der anderen Seite des Zauns, mit dem Loch im Kopf….

Aber besser der Reihe nach. Wir befinden uns in einem Zoo, einem Schwarzweissfotozoo. Hier wohnen Mama und Papa Pavian, Herr und Frau Mufflon, schwarze Schwäne, Enten und ein Murmeltiermädchen. Eines Morgens liegt das Nashorn steif und starr, mit traurigen Augen auf dem Boden. An was ist es wohl gestorben? An Heimweh? Am Wetter? Oder hat es etwa über den Zaun geschaut? Das beschäftigt die Tiere eine Zeit lang, aber schon nach einem ausgiebigen Winterschlaf ist das tote Nashorn vergessen. Es wird «ersetzt» durch einen jungen russischen Bären.

Dieser Neuling möchte vieles wissen und stellt unbequeme Fragen, er getraut sich sogar auf die andere Seite des Zauns zu schauen: Was sind das für spindeldürre Zebrawesen auf der anderen Seite? Warum stinkt es hier so komisch? Und warum gibt es keine Vögel? Die Fragerei passt Papa Pavian und den anderen Zoobewohnern überhaupt nicht, der Bär solle sich da raushalten, sonst bringe er sich und die anderen in Gefahr. Doch das tut er nicht, der mutige Bär fasst einen folgeschweren Plan…

Es hat ihn tatsächlich gegeben, einen Zoo neben dem Konzentrationslager Buchenwald, zum Amüsement der Bevölkerung und der Familien der Aufseher. Jens Raschke hat aus dieser Tatsache einen der bedeutendsten, mehrfach preisgekrönten Theatertext für junges Publikum geschrieben. Das Theater La Grenouille inszeniert diesen mit den Mitteln des Erzähltheaters und vielen Figurenwechseln. Auf feinfühlige Art werden wir durch die Geschichte geführt, im Kopfkino eines jeden geht genau das ab, was man «verträgt». Das Wort Konzentrationslager fällt im ganzen Stück nie. Genauso wenig wie die Nazis, beim Namen genannt werden.

Ein eindrückliches Theaterstück über kollektives Wegsehen und ein starkes Plädoyer für Zivilcourage für alle ab 9 Jahren.

«Es ist die Frage, ob Kinder über dieses erschütternde Kapitel des Menschseins informiert werden sollten, ob sie etwas davon wissen sollten. Für uns ist dies klar: Ja, denn den Kindern wird die Welt, so wie sie heute ist, sowieso zugemutet, und dies meist ungefiltert über die Medien. Umso wichtiger ist es, mit Theater und seinen Geschichten Momente zu haben, wo Erlebtes und menschliches Verhalten reflektiert und geschärft werden kann. Und damals wie heute sind es ja auch immer wieder Kinder, die Opfer von Unmenschlichkeit werden, oder zu Mitläufern oder Tätern erzogen werden. Letztlich stellt sich die Frage, was wir Kindern zumuten wollen, das Totschweigen einer schlimmen Wirklichkeit oder die Aufklärung darüber.»
Jens Raschke über sein Stück.